Kolumne London Eye: Krise und Zwangsarbeit

Das Gespräch der Londoner dreht sich immer weniger um Olympisches. Es geht schon längst wieder um Alltägliches: Krise, Irakkrieg, Kolonien.

Tresher & Glenny, eine der ältesten Schneiderein der Welt: geschlossen. Die Straße, die zur Bank of England führt ebenfalls. Bild: dpa

Die Londoner beginnen wieder über die normalen Dinge zu reden, auch wenn immer noch einseitige Liveübertragungen von den Olympischen Spielen dominieren. Ganz kurz flackerte dann doch die Nachricht auf, dass der Vorsitzende der Bank of England fast kein Wirtschaftswachstum voraussieht. Die Warnungen mancher Wissenschaftler vor einer „triple-dip recession,“ einer Rezession mit dreifacher Senkung, sind jetzt in aller Munde.

Molly und Chris sind unbesorgt: „Deutschland wird alle retten!“, glauben sie. Sunjay und Thomas sind auch nicht aufgeregt. Hysterische Politiker, Medien und Wirtschaftsinstitute wollten doch alle nur eins: Schlagzeilen. Ein Komplott der linksgerichteten Berichterstattung der BBC, und der blinden Verschwendungen der vorherigen Regierung, fügt Rechtsanwalt Philp hinzu. Dann gibt er zu, er hätte auch Angestellte entlassen müssen. Außerdem hätte man einige seiner Freunde gefeuert. Haben sie auch an das Komplott geglaubt?

Videoproduzent Matt kritisiert lieber den illegalen Irakkrieg. Aber gegen den Nato-Einsatz in Libyen hat er nichts, obwohl das auch Geld kostete. Dann muss er nachdenken. Man kriege ja wahrscheinlich jetzt günstig Gas und Öl geliefert, was der Wirtschaft hier helfe.

Sandra kennt noch einen zusätzlichen Verdächtigen. Alle Sozialhilfeempfänger, die arbeiten können, tragen Schuld an der Wirtschaftskrise. Das stand auch schon in den beliebten Blättern The Sun und Daily Mail. Der 29-jährige Sohn des Taxifahrers Danny hatte es auch schwer. Er wollte nach der Schule lieber bei Woolworths Manager werden, als zu studieren. „Er wohnt noch immer bei uns“, erzählt Danny. Als Woolworth in England dichtmachte, war sein Sohn sechs Monate arbeitslos. Statt bei Poundland, Woolworths Nachfolger, einzusteigen, fand er einen Job im Arbeitsamt. Da befiehlt er Leuten, wie der arbeitslosen Geologin Cait Reilly, bei Poundland unbezahlte Stunden zu leisten, damit sie Arbeitsmoral lernt.

Bei Verweigerung würde ihr das Arbeitslosengeld gestrichen. Wahrscheinlich geht auch Richter David Foskett bei Poundland einkaufen, denn er wies Reillys Beschwerde, dass dies Zwangsarbeit nach Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskommission sei, zurück. Die Arbeit bei Poundland wäre mit der Kolonialzeit nicht zu vergleichen.

ist freier Autor der taz.

Er vergisst, dass es noch Territorien gibt, die andere als kolonial betrachten. Die argentinische Regierung hatte sich erst am Mittwoch über illegale britische Ölbohrungen in „argentinischen Gewässern beschwert. Aus einem offenen Londoner Pub grölen einige bei der Siegerehrung die Zeile „Thy choicest gifts in store …“

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Seit 2012 für die taz im Einsatz. Daniel ist in München geboren und aufgewachsen avsolvierte aber sein Abitur in Israel. Seit 1991 lebt er im Herzen Londons, wo er zunächst drei Hochschulabschlüsse absolvierte, bevor er im Rundfunk (u.a. DW) begann zu arbeiten. Lange arbeitete er auch als wissenschaftlicher Universitätsassistent und über fünf Jahre lang für das Londoner Büro des jüdisch-palästinensischen Friedensdorfes Wahat al-Salam ~ Neve Shalom.. Ein Jahr lang war er Geschäftsführer der jüdisch-progressiven Organisation Meretz-UK. Als zusätzlich voll ausgebildeter Pilateslehrer half er in Teilzeit über 20 Jahre lang Menschen mit allerlei körperlichen Beschwerden. Ein Buch über die Erfahrungen seiner Familie durch die Schoa und den Jahren danach befindet sich in den letzten Zügen.

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