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Kolumne Linkspartei politischer StreikStreik gegen Akw-Laufzeiten?

Kolumne
von Micha Brumlik

Rhetorische Altlast oder Markenkern der Linkspartei: Sag, Ernst – wie hältst du es mit dem politischen Streik?

Die Partei Die Linke will - der politische Betrachter liest es mit Zustimmung - endlich ihre Programmdebatte führen. Dabei sollte sie unbedingt ein Problem klären, von dem nicht klar ist, ob es ein ernsthaftes Anliegen oder lediglich eine rhetorische Altlast darstellt: Es geht um die angeblich zum Markenkern der Partei gehörende Forderung nach der Möglichkeit politischer Streiks. Eben weil dieses Thema verfassungstheoretisch und politikwissenschaftlich von großem Interesse ist, seien daher einige Fragen gestellt, die insbesondere der gesetzte Westvorsitzende, der Gewerkschafter Klaus Ernst, zu beantworten hätte.

Was ist überhaupt - im Unterschied zu einem Streik im Rahmen des Tarifrechts - ein "politischer" Streik? Sollte darunter etwa ein Generalstreik für den Fall gemeint sein, dass die Bundeswehr gegen die Bundesregierung putscht und damit die verfassungsmäßige Ordnung außer Kraft setzt, müsste man nicht weiter diskutieren: Ein solcher Streik wäre völlig legitim und sogar legal.

Micha Brumlik

ist Publizist und Professor an der Universität Frankfurt am Main.

Schließt man diesen an den Haaren herbeigezogenen, spektakulären Fall aber aus, so könnte man sich jedoch auch vorstellen, dass zum Beispiel gewerkschaftlich organisierte, ökologisch sensibilisierte Angehörige des öffentlichen Dienstes gegen vom Bundestag beschlossene Gesetze streiken, weil sie gegen die Verlängerung der Laufzeiten bei Atomkraftwerken sind. Für diesen Fall wären die Verhandlungspartner wohl die jeweilige Gewerkschaftsführung hier und die Bundesregierung dort. Wären vor Beginn eines solchen Streiks entsprechende Regularien einzuhalten? Was wäre mit Urabstimmung, Friedenspflicht und Schlichtung? Im Tarifrecht steht bekanntermaßen das Postulat der "Waffengleichheit". Würde im politischen Streik auch die Möglichkeit der politischen Aussperrung legitimiert? Gibt es beim politischen Streik nichts zu verhandeln?

Oder liegt man gar völlig falsch, so man das Recht des politischen Streiks analog zum Tarifrecht modelliert? Oder wenn man überhaupt daran denkt, zu verrechtlichen, was eine Bekundung politischen Unmuts ist und wie der zivile Ungehorsam seine Grenzen nur beim Versammlungs- und Strafrecht findet? Wird die Partei Die Linke, die ja eine verfassungstreue Partei ist, in ihr Programm schreiben: "Wir unterstützen die Möglichkeit politischer Streiks. Dazu werden wir eine Grundgesetzänderung auf den Weg bringen"?

Auch weitere verfassungspolitische Fragen wären zu klären: Denn die nach wie vor geltende repräsentative Demokratie mit ihren vom ganzen Volk gewählten, nur ihrem Gewissen verantwortlichen Abgeordneten würde durch derartige politische Streiks, die ja nur von einem Teil des Volkes getragen werden, aufgehoben; der legale und legitime Gesetzgeber, der deutsche Bundestag, unter Druck gesetzt - die freie Ausübung des Mandats erheblich eingeschränkt. Welche Form von Demokratie wünscht, wer politische Streiks fordert?

Etwa die des anarchosyndikalistischen Theoretikers Georges Sorel? Sorel, ein Feind der parlamentarischen Demokratie, beschwor das Mittel des Generalstreiks und war sich durchaus dessen bewusst, dass es sich dabei nur um einen Mythos handelt, um eine große, imaginäre Erzählung, die, wie er hoffte, unterdrückte emotionale, revolutionäre Kräfte freisetzt. Geht es der Linkspartei darum?

Das sind Fragen, die nicht an jenen Teil der Partei Die Linke zu stellen sind, der sich aus der PDS rekrutiert - und sei es auch nur deshalb, weil der Erfahrungsraum der DDR im Hinblick auf Streiks (sieht man vom 17. Juni 1953 ab) doch sehr eingeschränkt war. Nein, es sind dies Fragen, die durchaus ernsthaft jenem Teil der Partei gelten, der aus den Gewerkschaften und der WASG kommt. Schließlich dürfte es nur wenige politische Kräfte geben, die mit den Feinheiten des Arbeits- und des Streikrechts so vertraut sind wie sie.

Man sollte dies nicht als einen Streit um des Kaisers Bart abtun. Schließlich geht es bei dieser symbolischen Debatte um sehr viel. Am programmatischen Status des politischen Streiks wird sich entscheiden, ob Die Linke den Weg einer ernsthaften, regierungsfähigen und verantwortungsbereiten kleineren Volkspartei gehen oder sich für die Sackgasse eines fruchtlosen Linkspopulismus entscheiden will.

Oder geht es beim politischen Streik um bloße demagogische Maulhuberei zum Zweck der öffentlichen Selbstberauschung? Der gesetzte Westvorsitzende der Partei möge sich doch vor seiner Wahl im Mai zum Thema äußern: Herr Ernst, bitte erklären Sie sich!

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Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“
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2 Kommentare

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  • CV
    Christian Vogt

    wenn der politische "betrachter", in diesem falle herr brumlik, genauer informiert wäre, wüsste er, dass die linke im bundestag bereits einen antrag auf ein "recht auf generalstreik" , was de facto politische streiks meint, gestellt hat. bei politischen streiks handelt es sich um streiks, deren inhalt nicht tarifvertraglich regelbar ist und die sich damit nicht an den arbeitgeber, sondern an den gesetzgeber wenden. ziel ist es zunächst, unmut über eine gesetzgebung, oder eine bestimmte wirtschafts- bzw. sozialpolitik zu artikulieren.die muss herr ernst nicht erst beantworten. ein politischer streik muss nicht zwangsläufig einen erzwingungscharakter haben.beispiel: eine 24- stündige arbeitsniederlegung mit demonstration gegen besagte laufzeitverlängerungen von akws. es ist doch mehr als zweifelhaft, ob ein solcher politischer streik die freie ausübung des mandats von parlamentarierInnen einschränkt. im übrigen verbietet das grundgesetz politische streiks nicht explizit. lediglich so genanntes richterrecht schreibt vor, dass sich streiks auf tarifvertraglich regelbare ziele beziehen müssen. internationales, nebenbei von der brd ratifiziertes, völkerrecht in form der europäischen sozialcharta sagt desweiteren, dass das verbot von streiks, die sich nicht auf tarifvertraglich regelbare ziele beziehen rechtswidrig sei. ähnliche meinungen werde auch von der internationalen arbeitsorganisation vertreten. die argumentation die linke würde sich mit derlei forderungen als nicht ernsthaft und regierungsfähig erweisen ist völlig haltlos.

  • A
    anke

    Ah, der politische Betrachter wünscht sich was. Er wünscht sich, dass DIE Linke ihr Verhältnis zum politischen Streik klärt. Wobei DIE Linke allerdings lediglich die West-Linke meint, weil die Ost-Linke schlicht keine Erfahrung hat. Und dann wünscht der politische Betrachter noch, dass DIE Linke sich gegen die programmatische Zukunft des politischen Streik entscheidet, weil ihre Mitglieder nur dann keine maulhubernden, frucht- und verantwortungslosen Populisten sind. Der politische Betrachter, möchte man hoffen, bleibt noch recht lange ein solcher. Schließlich: Stammtische gehören in Kneipen, nicht in Parteizentralen.