Kolumne Liebeserklärung: Im Ohr des Betrachters
Am Tag gegen den Lärm finden weltweit Aktionen gegen störende Geräusche statt. Dabei ist Lärm wunderbar, ein Zeichen von Lebendigkeit.
![Eine Frau fasst sich mit den Händen an die Schläfen und verzeiht das Gesicht Eine Frau fasst sich mit den Händen an die Schläfen und verzeiht das Gesicht](https://taz.de/picture/3401143/14/imago88356764h.jpeg)
H eute ist der Tag gegen den Lärm – eine Aktion der Deutschen Gesellschaft für Akustik. Diese findet bereits zum 22. Mal statt, nun unter dem Motto „Alles laut oder was?“. Der International Noise Awareness Day soll über Lärmbelastung aufklären, auf gesundheitliche Risiken hinweisen und das Bewusstsein für störende Geräusche schärfen. Ein ganzer Tag gegen den Lärm. Dabei kann Lärm auch ganz wunderbar sein.
Der Duden definiert Lärm „als störend und unangenehm empfundene laute, durchdringende Geräusche“. Die Hörenden entscheiden also, was Lärm ist und was einfach nur ein Geräusch. Wenn durch die Decke unserer Wohnung die dumpfen Schritte unseres Nachbarn ertönen, regt das meine Mitbewohnerin furchtbar auf. Sie zerbricht sich den Kopf darüber, warum er abends regelmäßig einen Marathon hinlegt und wie man eigentlich so laut laufen kann. An einem Morgen werde ich von genau diesen Schritten geweckt, was ich herrlich finde.
Ich wohne noch nicht lang in der Wohnung, fühle mich noch nicht komplett zuhause. Höre ich morgens schon Schritte und Stimmen, erinnert mich das an meine Kindheit. Meine Eltern stehen so früh auf, dass sie vor dem Frühstück um 9 Uhr schon einen Kuchen gebacken, das Unkraut gejätet und eben auch einen Marathon durchs Haus zurückgelegt haben. Von diesen durch die Zimmerwände gedämpften Geräuschen wach zu werden, löst in mir ein Gefühl von Zuhausesein aus. Als Kind konnte ich ohne die Laute des Fernsehers aus dem Wohnzimmer nicht einmal einschlafen.
Das Kreischen von Kindern auf dem Schulhof, das Rattern der Straßenbahn vor der Tür, das Dröhnen des Smoothiemixers in der Küche – ich bleib noch kurz liegen. Baustellenlärm an der Kreuzung – ich dreh meine Musik lauter. Der morgendliche Smalltalk im Großraumbüro – ich klinke mich ein.
Manche haben sich schon über das aggressive Tippen des Gegenübers beschwert, regen sich auf, wenn in der Bahn auf dem Platz gegenüber jemand genüsslich in einen Apfel beißt. Dabei sind Geräusche ein Zeichen von Lebendigkeit. Sie werden erst zum Lärm, wenn man sie dazu macht.
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