Kolumne Liebeserklärung: Der Klub der Rechtsgewischten
Damit Schöne und Reiche bei Tinder nicht auf abgehalfterte Waldschrate stoßen, gibt es die geheime Erweiterung „Select“.
H ässliche Vögel wie unsereins haben das dunkelblaue S am oberen Bildschirmrand freilich noch nie mit eigenen Augen gesehen. Doch es muss wahr sein; immerhin haben nicht nur bekannte Blätter wie Süddeutsche und FAZ, sondern auch seriöse Zeitungen darüber berichtet: Tinder Select, eine für Reiche, Schöne und Berühmte eingerichtete, exklusive Erweiterung der Dating-App Tinder.
Die Standardversion kennt man: Der Onanie überdrüssige Durchschnittsexistenzen wischen auf dem Smartphone angezeigte Profilbilder anderer Trauergestalten nach rechts, wenn sie mit ihnen der Mittelmäßigkeit frönen wollen. Jede dahergelaufene Dampfpfannenvisage kann mitmischen. Und wer sogar beim Normalo-Tinder nach links sortiert wird – auweia.
Zu Tinder Select hingegen gelangt man nur auf Einladung eines Eingeweihten. Einmal dabei, darf man nur eine einzige weitere Schönheit hinzufügen – nur so bleibt der Laden sauber, geht Friedrich Nietzsches Traum vom Übermenschen in Erfüllung.
Denn Tinder Select führt begnadete Körper mit gerissenen Denkern zusammen, vereint vielleicht hochintelligente Topmodels wie Heidi Klum mit gut betuchten Altruisten wie Martin Shkreli – das ist jener ausgefuchste Visio- und Millionär, der den Preis eines Aidsmedikaments von 13,50 Dollar um schlappe 5.000 Prozent auf 750 Dollar pro Tablette erhöht hat. Wenn dieses liebenswerte App-Add-on derlei beschlagene und ansehnliche Menschen einander finden und letztlich kopulieren lässt, profitieren wir als gesamte Spezies davon.
Die Tinder-Select-Pioniere, so heißt es, wurden übrigens algorithmisch bestimmt: Wer viele Anfragen erhält, kommt rein in den Klub der Rechtsgewischten. Dieses Zuchtprogramm lenkt also eine unbestechliche Maschine!
Warum dir, Tinder Select, aber vor allem Liebe gebührt: Seit von deiner angeblichen Existenz die Rede ist, fragen die Leute einen gar nicht mehr: Bist du allen Ernstes nicht bei Tinder, oder warum wurde mir dein Profil noch nie vorgeschlagen? Sie ahnen es jetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag