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Kolumne LidokinoKörperarbeit mit und ohne Hörgerät

Cristina Nord
Kommentar von Cristina Nord

Es gibt Streit um die italienischen Beiträge bei den Filmfestspielen in Venedig. Mickey Rourke macht als Wrestler aber alles wieder gut.

Z u Beginn der Mostra gab es Ärger: Ein Autor des Spiegel klagte, das Festival zeige zu viele italienische Produktionen. Erstaunlicherweise reagierte darauf nicht nur Marco Müller, der Leiter der Mostra, indem er die Qualität der heimischen Filmproduktion betonte und sich einen Goldenen Löwen für einen italienischen Film wünschte. Auch der Kulturminister Sandro Bondi mischte sich ein. In den Pressefächern ließ er eine Erklärung deponieren, in der er sich verwundert über die Kritik aus Deutschland äußerte. Das italienische Kino, schrieb er, sei "auf ein exzellentes Niveau" zurückgekehrt.

"Träumen Sie weiter!", will man Bondi und Müller zurufen, nachdem man 35 Minuten von Pappi Corsicatos Wettbewerbsbeitrag "Il seme della discordia" ("Die Saat der Zwietracht") durchgestanden hat. Vor langer Zeit hat Corsicato als Regieassistent von Pedro Almodóvar gearbeitet, nun versucht er sich an einer grellbunten Komödie im Stile von "Atame" oder "Que he hecho yo para merecer eso?". Leider legt er dabei weder Almodóvars Liebe zu Frauen noch dessen Liebe zum Queeren an den Tag, vom Talent zum Camp ganz zu schweigen. "Il seme della discordia" hat so altbackene, sexistische Vorstellungen von Frauen, von Männern und von Sexualität, dass man meinen wollte, Silvio Berlusconi und seine Familienministerin Mara Carfagna hätten das Drehbuch gemeinsam verfasst. Besonders grob ist, dass Corsicato seine Arsch-und-Titten-Komödie mit Kleists "Marquise von O." in Verbindung bringt - im Film wie in der Novelle wird die weibliche Hauptfigur während einer Ohnmacht vergewaltigt und geschwängert. Bei Corsicato hat sie bald darauf einen erotischen Traum, wälzt sich in ihrem Bett, stöhnt und weiße Lilien regnen sanft auf sie herab. Nach dieser Szene war ich so deprimiert, dass ich die Sala Palalido verlassen musste.

Zum Glück macht Mickey Rourke alles wieder gut. Er spielt die Hauptrolle in Darren Aronofskys Wettbewerbsbeitrag "The Wrestler", einen in die Jahre gekommenen, verarmten Wrestler namens Randy "the Ram" Robinson. Nach einem spektakulären Kampf hat er einen Herzinfarkt. Sein Arzt rät ihm, nie wieder in den Ring zu steigen. Aber Randy schafft es nicht, sein Leben umzustellen. Beeindruckend ist "The Wrestler" vor allem deshalb, weil er der Körperabeit der Figur - und damit dem Körper Mickey Rourkes - so großen Raum lässt. Man sieht Randy, wie er sich die Achseln rasiert, wie er sich die langen, lockigen Haare blondieren lässt, wie er ins Sonnenstudio geht und wie er sich die Medikamente besorgt, die ihm die richtigen Muskeln verschaffen. Zugleich braucht er Bandagen, Stützverbände und ein Hörgerät. So hart er an seinem Körper arbeiten mag, so wenig kann er verhindern, dass er ausgezehrt und verlebt aussieht.

Aronofsky stellt der Hauptfigur eine Stripperin zur Seite, was man zunächst für eine überstrapazierte Genrekonvention halten kann: der alternde Drop-out und die gütige Frau in der Sexindustrie. Doch es geht dem Regisseur darum, eine Parallele zwischen zwei Formen von Körperinszenierung zu entwerfen. So wie die Stripperin Brüste und Po ausstellt und damit Lust verschafft, so tut dies auch der Wrestler - nur dass noch Blut hinzukommt. Der Film weckt und bedient die Schaulust seines Publikums, ohne dabei je so verschwiemelt zu agieren wie "Il seme della discordia". Das macht "The Wrestler" zu einer aufrichtigen Hommage an die Spektakel und die Körperschauspiele der low culture.

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Cristina Nord
Kulturredakteurin

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