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Kolumne LidokinoÜberall Narzissen

Cristina Nord
Kolumne
von Cristina Nord

Alles wird gefilmt und kommt danach ins Netz. Xavier Giannolis seziert in seinem Film „Superstar“, wie Berühmtheit heute funktioniert.

E in berühmtes Juwelierunternehmen lässt mir eine E-Mail zukommen, in der en détail aufgelistet wird, welche Schmuckstücke Kate Hudson am Mittwochabend auf dem Roten Teppich vor dem Palazzo del Cinema trug: ein Paar Ohrringe, einen Armreifen und einen Ring aus Silber und 18-karätigem Gold, besetzt mit insgesamt 3.502 weißen Diamanten.

Eine Win-Win-Situation: Die Schauspielerin, die in Mira Nairs „The Reluctant Fundamentalist“ eine Nebenrolle hat, freut sich am Funkeln der Edelsteine, das Unternehmen daran, dass Hudson für es wirbt, die Galas und Bunten dieser Welt haben etwas zu berichten, und ich habe einen Einstieg in diesen Text.

Letzteres deshalb, weil es in dem französischen Wettbewerbsbeitrag „Superstar“ von Xavier Giannoli eine verwandte Szene gibt: Ein junger Modedesigner bittet einen Celebrity, in einer Fernsehshow von ihm entworfene Kleidung und Accessoires zu tragen. Anders als Kate Hudson lehnt der berühmte Mann ab, so wie er es überhaupt ablehnt, ein Star zu sein.

Der Ruhm überfällt diesen Jedermann Mitte 40 eines Morgens in der Metro. Wie aus dem Nichts wird er von den anderen Fahrgästen angesprochen, fotografiert, um Autogramme gebeten und gefilmt. Es sind Fans, und sie kennen seinen Namen – Martin Kazinski. Es dauert keine zwei Minuten, bis die Fotos und Filme im Netz sind, und noch einmal zwei Minuten später kann dieser Mann, gespielt von Kad Merad, keinen Schritt mehr gehen, ohne von Fotografen, Reportern und Passanten behelligt zu werden. „Pourquoi?“, hält er dem naiv entgegen, „warum?“ Eine Antwort findet er nicht, stattdessen wird das Fragewort bald zu seinem Markenzeichen.

„Superstar“ versucht die Mechanismen, die Medien und die Technologien zu sezieren, mit deren Hilfe Berühmtheit heutzutage funktioniert. Da sind die Smartphones, die alles filmen und fotografieren, da ist das Netz, das die Vorstellung von Privatheit im Handumdrehen zersetzen kann, indem es jeden Furz publik macht, da sind die Talkshows, die Schwätzern eine Bühne bieten, und da sind die Journalisten, die es einmal besser machen wollten, sich aber nicht lange zieren, wenn sie sich zwischen Idealen und Quote zu entscheiden haben.

Klingt kulturkritisch? So ist es von Giannoli sicherlich gedacht. Gerade dass der Held ein durch und durch gewöhnlicher Mensch ist, befähigt ihn zur Berühmtheit – denn in seiner Gewöhnlichkeit erkennt das Publikum sich selbst wieder, sodass es sich keiner Differenz aussetzen muss. Nichts stellt sich seinem Narzissmus in den Weg. Und jeder Versuch Kazinskis, aus dem System auszubrechen, läuft ins Leere, weil sich Widerstand umstandslos in die Wertschöpfungskette einspeisen lässt – genauso wie affirmative Überbietung.

Dabei hat Giannoli das Problem, dass er die Form der Bildproduktion, die er zur Debatte stellt, recht unverblümt reproduziert. Die Hysterie der Talkshows, die Banalität von Handybildern, der Hochdruck, mit dem die Paparazzi ans Werk gehen: all dies ist Teil der mise-en-scène. „Superstar“ sucht keine ästhetische Alternative zur Welt des Infotainments. Vielleicht ist das nur konsequent. Unheimlich ist es aber doch, wenn nach der Vorführung in der Sala Darsena für ein paar Momente das Geräusch aufbrandet, das einem in Giannolis Film das Fürchten lehrt: frenetischer Applaus.

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Cristina Nord
Kulturredakteurin
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