Kolumne Leuchten der Menschheit: Im RAF-Kollektiv aufgelöst
Gudrun Ensslin – die gestrenge Pastorentochter, die sich dem gewaltsamen Umbruch verschrieb? Ein Buch will das Bild des RAF-Mitglieds widerlegen.
W er war sie, was trieb sie an? Auch 40 Jahre nach ihrem Suizid im 7. Stock des Hochsicherheitsgefängnisses von Stuttgart-Stammheim hinterlässt Gudrun Ensslin eine Reihe von Rätseln. Ensslin, 1940 im süddeutschen Bartholomä geboren, war Mitgründerin und führendes Mitglied der RAF, sie war an fünf Bombenanschlägen mit vier Todesopfern beteiligt. Sie wurde wegen vierfachen Mordes 1977 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Die Schriftstellerin Ingeborg Gleichauf hat jetzt unter dem Titel „Poesie und Gewalt“ (Klett-Cotta, 2017) eine neue Biografie vorgelegt, die das vorherrschende Bild einer gestrengen Pastorentochter widerlegen will, die sich irgendwann der gewaltsamen Gesellschaftsveränderung verschrieben und sich dem RAF-Genossen Andreas Baader unterworfen hatte.
Ensslin habe sich auf dem Weg in die Gewalt verloren, Gleichauf zusammenfassend: „Im Laufe ihres Lebens ist immer weniger von ihrer individuellen Persönlichkeit hörbar gewesen in dem, was sie sagte, schrieb und schließlich tat.“
Die Autorin beschreibt, wie ihr im Laufe ihrer Arbeit das „Ich“ Ensslins abhandenkommt, wie sich das Subjekt Ensslin im RAF-Kollektiv aufzulösen scheint. Wie die Sprache der früheren Literaturliebhaberin und Geigenspielerin verroht und immer kryptischer wird. Wie deren Leben auf dem Höhepunkt des Deutschen Herbstes im Selbstmord endet.
Tablets im Klassenzimmer, aber marode Klos. Die Deutschen, Hygieneweltmeister und Erfinder aller Sekundärtugenden, lassen die Toiletten ihrer Kinder verrotten. Was Schüler, Eltern, Urologen, Putzfrauen dazu sagen: der große Schulklo-Report in der taz.am wochenende vom 21./22. Januar 2016. Außerdem: Ein Besuch bei den Nazijägern in der Zentralen Stelle in Ludwigsburg. Und: Eine Nachbetrachtung der Urwahl bei den Grünen. Das alles und noch viel mehr – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Der Deutsche Herbst ist auch Gegenstand von Butz Peters’ Buch „1977. RAF gegen Bundesrepublik“ (Droemer, 2017). Für den Rechtsanwalt und früheren „Aktenzeichen XY… ungelöst“-Moderator tritt mit den Morden an Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto, Generalbundesanwalt Siegfried Buback und Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer sowie der Entführung des Passagierflugzeugs Landshut eine zweite, zu allem entschlossene Generation der RAF auf den Plan. Mit bis heute andauernden Folgen.
Zugleich setzte mit den Selbstmorden von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe die erste Generation einen das Land erschütternden Schlusspunkt. Eine „packende Geschichte“, behauptet der Verlag. Das ist selbstredend richtig, aber auch ein bisschen banal. Wegen oder trotz 40 Jahre Deutscher Herbst.
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