Kolumne Lektionen: Im Wolkenland
Die Drehung muss aus den Hüften kommen, die Arme müssen mitschwingen. Schöner gehen - wie geht das eigentlich?
D ie Drehung muss aus den Hüften kommen. Bein nach vorne, den Bauch anspannen, den Oberkörper aufrichten, die Schultern senken, die Arme mitschwingen. So geht Gehen. Oumu Sakho schiebt meine Hüften bei jedem Schritt ein klein wenig vor - rechtes Bein, rechte Hüfte, linkes Bein, linke Hüfte. Es ist eine leichte Berührung, sanft.
Oumu Sakho - „Freunde nennen mich Oumy“, sagt sie. Sie hat eine Model- und Eventagentur in Berlin - schwarz-weiß gekachelter Boden, verspiegelte Wände, zwei Plakate mit posierenden Frauen. „Unique personalities“.
Oumu Sakho ist selbst Model. Ein Meter achtundsiebzig, sechzig Kilo, dunkle Haut, glatte, schwarze Haare, klare Augen. „Ich als Afrikanerin“, sagt sie. Aber sind Sie nicht Deutsche? „Am Ende ist es egal, wie ich es verstehe. Meine Hautfarbe macht mich zur Afrikanerin. Ich kann überall leben. Es kommt darauf an, als was mich die anderen sehen.“ Sie, diese Oumy, zeigt mir, wie schöner gehen geht.
Die Autorin ist Redakteurin der sonntaz. Das Wochenendmagazin ist am Kiosk, e-Kiosk und im Wochenendabo erhältlich.
Denn wer geht, soll schöner gehen. Ich will es lernen, weil ich gehe. Meine Kolumne „Lebenslanges Lernen“ wird es nach dem sonntaz-Relaunch im April nicht mehr geben. Kaum auf der Bühne, noch etwas unsicher im Ausdruck, schon muss ich wieder abtreten. Zur Erinnerung: Ich lernte, was ein Logarithmus macht, wie Eisbaden geht, was ein Retabel ist, wie Wein schmeckt und wo man lila Pilze findet.
Es hätte weitergehen können, ich hätte besser werden können. Ukulele wollte ich lernen, nachts Graffiti sprayen. Auch Vektoren hätten mich interessiert. Wie man ein Feuer macht mit feuchtem Holz und vom Fünfmeterbrett springt. Lektionen eben.
„Nein, tut mir leid, passt nicht“ - mit dieser Ablehnung könne nicht jede umgehen, sagt Sakho. Aber im Modelsektor ist die Konkurrenz groß. „Es gibt immer jemanden, der schöner ist. Und jemanden, der hässlicher ist“, sagt sie. Voilà. Ich muss das akzeptieren.
Deshalb lerne ich: schöner zu gehen. Es ist ein Vergnügen, Oumu Sakho zur Lehrerin zu haben. Ihre Geschichte kommt sonst nur im Märchen vor.
Neun Jahre war sie alt, als sie in Conakry, Guinea, mit ihrer Mutter zum ersten Mal in ein Flugzeug stieg, um nach Berlin zu fliegen. Hier heiratete ihre Mutter einen Mann aus Afrika mit deutschem Pass. „Wir flogen in die Wolken“, erzählt Oumu Sakho. Sie dachte: einmal in den Wolken, immer in den Wolken. Sie dachte: Deutschland, das muss ein Wolkenland sein. „Ich war enttäuscht, als ich ankam und sah, dass es nicht so war.“
Sie hat das Land doch irgendwie zu ihrem gemacht. Trotz Kulturschock und Fremdheit und Bürokratismus. „Ich habe mich gewundert, dass so wenig Menschen auf den Straßen sind. In Afrika spielt sich das Leben auf der Straße ab.“ Jetzt sei sie selbst so, ziehe sich zurück, um sich zu schützen.
Aber das Märchen? Einmal, Oumu Sakho war 16, ein großer, kräftiger Teenager, achtzig Kilo, brachte sie ihren Bruder zum Fußball. Eine Frau auf der Straße lief hinter ihr her und rief: „Hey du, Mädchen, halt an!“ Sie habe sich umgedreht, erzählt Oumu Sakho, „ich kannte die Frau nicht. Sie war so schön. Deshalb konnte ich sie erst recht nicht kennen.“ Sie ging weiter. „Mädchen, warte doch mal.“ „Es dauerte, bis ich begriff, dass sie mich meinte.“ Die Frau hatte eine Modelagentur. „Ich will dich aufbauen“, sagte sie. Ein Traum?
Wirklichkeit?
Oumu Sakho hatte keine Ideen, was sie nach der Schule machen wollte. „Stewardess vielleicht. Polizei vielleicht.“ Eine Lehre als Hotelfachangestellte. Sie sagte der Frau zu. Bauch anspannen, Brust raus, Schultern nach unten, aufrechter Gang, die Hüfte mitnehmen beim Gehen, posieren, „einundzwanzig, zweiundzwanzig“, damit die Fotografen genug Zeit zum Knipsen haben. Fünfzehn Jahre macht sie es schon. Sie modelt für Escada, Barbara Becker, für Guido Maria Kretschmer, Nanna Kuckuck.
Und wenn die Mädels nicht mit der Ablehnung umgehen können, dann hungern manche Models und machen sich krank. Sakho wiederholt, dass es immer jemanden gibt, der schöner ist, und jemanden, der hässlicher ist, und dann soll ich meine Gehversuche auf High Heels machen, denn mit High Heels laufe man automatisch aufrechter. Kleine Schritte, einen Fuß vor den anderen, Hüftdrehung, Pose. „Eine Pose ist nur gut, wenn sie wehtut.“ So weit komme ich nicht. Auf den Zwölf-Zentimeter-Absätzen geht gar nichts.
Vor zwei Jahren organisierte Oumu Sakho ein Shooting mit fünfzehn schwarzen Models in weißen fließenden Kleidern. Schwebend auf Schaukeln, in Wolken, in der Luft. „Wir wollten zeigen, dass wir elegant, sinnlich, feminin, attraktiv sind. Dass man uns nicht nur buchen muss für Multikulti, wenn mal was ganz farbig ist oder gemustert.“
Das Shooting lief gut. „Oumy, du machst das toll, mach doch ne Agentur“, sagten die Freundinnen. So kam das. „Ohne Kapital. Ohne Businessplan.“
Aber Oumu Sakho will etwas anderes. Sie will etwas Sinnvolles tun. Vom Modeln, ja, da hätte man ein paar Fotos, die man seinen Kindern zeigen kann - „hey, das macht mich nicht glücklich.“ Es klingt einfach, aber daraus hat sie ein radikales Konzept entwickelt. Denn 12,5 Prozent der Einnahmen vom Verdienst aller, die bei ihr unter Vertrag sind, fließen in ein Hilfsprojekt in Afrika: Unique Personalities Help e.V.
Mit dem Geld sollen in Conakry zuerst Geschäfte eröffnet werden - Restaurant, Bäckerei, Friseurladen -, die Arbeitsplätze und weitere Einnahmen generieren. „Die Leute wollen Arbeit und nicht die Hand aufhalten.“ Was in den Geschäften erwirtschaftet wird, fließt in ein Kinderprojekt und eine Schule. „In dem meisten Business sehe ich kein Herz. Aber wir haben ein Herz. Wir müssen soziale Verantwortung übernehmen.“ Und dann hilft sie mir wieder, über die gefliesten schwarz-weißen Kacheln zu schreiten. Auf halbhohen Schuhen. „Wir sind alle Egoisten, aber es geht nicht um dich, das ist die Message. Da ist etwas, was darüber hinausgeht“, sagt sie.
Und dann ist es so weit: Ich gehe - aufrecht natürlich und einen Fuß vor den anderen setzend - aus dieser Kolumne heraus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier