Kolumne Laufen: Kick it like Baumann
In aller Bescheidenheit: Ich bin der ideale Laufcoach. Wie, das glauben Sie nicht? Na dann aber hopp! Los! Schneller!
Seit Oktober erlebe ich einen wahren Karrieresprung. Endlich werde ich in der Laufszene als Coach ernst genommen. Das war vorher nicht so. Zwar war ich als Athlet mehr oder minder erfolgreich und bringe seit einigen Jahren auch viele Menschen zum Laufen, die es auch noch Jahre später tun. Doch in der richtigen Laufszene zählt nur eines: Marathon, und den bin ich bekanntlich noch nie bis zum Ende gelaufen. Seit Oktober also - 2 Uhr 30 in Frankfurt - darf ich mich Marathonexperte nennen. Vorher war ich allenfalls ein Laufexperte bis 34 Kilometer.
Dieter Baumann (42) ist mehrfacher Olympiasieger in verschiedenen Laufdisziplinen, arbeitet als Motivationstrainer und Autor. Er träumt davon, ein "Lebensläufer" zu sein, für den der Weg immer wichtiger bleibt als das Ziel.
Aufgrund dieser Erfahrungen sage ich in aller Bescheidenheit: Ich bin der ideale Laufcoach für Sie. Zwar bin ich für einen Marathonlauf nicht talentiert, aber gelaufen bin ich ihn trotzdem. Ich vermute, Ersteres trifft auch auf Sie zu und das Zweite wollten Sie gerne. Bevor Sie mir nun viele Fragen zum idealen Training stellen, sollten Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Groß geworden bin ich nämlich nicht auf der Laufbahn, sondern auf dem Fußballplatz.
Jeden Abend zog ich in Blaubeuren auf den Sportplatz zum Training. Das kleine Städtchen liegt am Rande der Schwäbischen Alb und ist durch den Blautopf und durch den Fund eines kleinen Mammuts weltberühmt geworden. Der Blautopf ist ein Quelltopf mit sagenhaften Tropfsteinhöhlen. Die mystische Quelle schickte im Winter seine Nebelschwaden über den Fußballplatz, und ich ging nicht nur zum Training der Jugendmannschaft, sondern schloss mich auch als Zugabe dem Training meines Vaters an, der die aktive Mannschaft trainierte.
Die Erinnerung an eine Spezialeinheit meines Vaters, dem Torwarttraining, ist heute noch so wach, als wäre ich gestern vom Platz gegangen. Erwähnen sollte ich noch, dass man vor 20 Jahren die Qualität einer Übungseinheit daran maß, wie viele Spieler den Weg zur Kabine nur noch auf den Knien absolvieren konnten. Je mehr und länger, umso besser das Training.
Zu Beginn einer Trainingseinheit gab mein Vater ein paar wenige Anweisungen. Er erklärte den Ablauf einer Übung beim Torwarttraining: "Fünf Sprünge über diese hüfthohen Querstangen, denkt daran, Knie hoch. Dann ein kurzer Spurt durch den Fünf-Meter-Raum und dann zum Ball." Aus dem Sprint sollten wir den Ball durch einen Hechtsprung erreichen, den mein Vater gezielt in eine Ecke warf.
War der Parcours durchgesprochen, beschränkte sich mein Vater auf wenige Silben und Wörter. Laut und deutlich. Durch die Nebelschwaden, die der Blautopf herüberschickte, hörte ich nur noch laut und deutlich: Hopp! Los! Noch zehn Sekunden! Schneller! Dazwischen pfiff mein Vater quer über den Platz, um eine zweite Gruppe anzutreiben. So ging das über eine Stunde lang. Mir hat das immer Spaß gemacht. Diese Sozialisierung auf dem Trainingsplatz nahe dem Blautopf in Blaubeuren hat mich als heutigen Marathonexperten stark geprägt.
Vor wenigen Tagen fiel mir das bei einem Trainingscamp wieder auf. Zum Laufen brauchen wir natürlich Kraft, und so dachte ich mir einen harten Kraftzirkel aus, noch immer den schweren Gang auf den Knien zur Kabine vor Augen. Sie wissen ja, hüfthohes Springen und kurze Antritte bekam ich schließlich in die Wiege gelegt.
Ich beschränke mich auf eine kurze Anweisung zu Beginn der Einheit, dann hört man von mir nur noch wenige Silben und Wörter. Laut und deutlich. Hopp! Los! Noch zehn Sekunden! Schneller! Wahrscheinlich können Sie es sich nicht wirklich vorstellen, doch die Leute machten mit großer Begeisterung mit. Es ist überhaupt nicht gelogen, wenn ich sage: Es hat allen richtig Spaß gemacht. Mir ja sowieso.
Einer der Teilnehmer kam nach der Einheit mit leuchtenden Augen auf mich zu und meinte: "Dieses Training hat mich wahnsinnig an meine Jugend erinnert. Ich war doch im evangelischen Seminar in Blaubeuren." Und dort spielte er Fußball. Sein Coach, so stellte sich heraus, war mein Vater. "Du hast das Training eins zu eins übernommen. Und die Stimme", rief er begeistert, "wie früher."
Fragen zum Training? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH
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