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Kolumne LandmännerDas taugt für eine schöne Ruine

Vom Besuch eines alten Herrn aus Bayern, der gekommen war, um sein Haus in Brandenburg aufzusammeln.

Immer wenn mein Freund eine Ruine sieht, bekommt er ganz feucht-glänzende Augen. Er liebt Ruinen, und ich hoffe, dass es da keine Parallelen zu unserer Beziehung gibt, besonders dann, wenn ich nach einer kurzen Nacht in den Spiegel schaue.

Bild: taz

Martin Reichert (34) ist der Liebe wegen Wochenend-Brandenburger. In Berlin wünscht er sich fast täglich an einen stillen See, in Brandenburg sieht er abends am Horizont die Lichter Berlins schimmern - und bekommt Sehnsucht.

Wie dem auch sei: Seit ich ihn kenne, lebe ich im Prinzip in Ruinen, die gerade einem Dauersanierungsprozess unterworfen sind. Ist der Prozess beendet, muss eine neue Ruine her, denn eine sanierte Ruine ist ja keine Ruine mehr.

Wenn wir über Land spazieren fahren, besichtigen wir Ruinen, was in Brandenburg eigentlich keine Kunst ist. LPG-Ruinen, Schlossruinen, Hausruinen. Und wenn wir mal in Urlaub fahren, dann schauen wir uns eben kaputte Häuser in Südfrankreich oder Polen an, wobei Polen diesbezüglich viel attraktiver ist.

Doch warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah: Krachte doch neulich das spätmittelalterliche Nachbarhaus einfach so in sich zusammen. Es hatte zwar mehrere Stadtbrände und Kriege, den Aufstieg und Niedergang Preußens sowie auch die Wiedervereinigung heil überstanden, nicht jedoch einen veritablen, nicht sofort reparierten Dachschaden, den gelangweilte Kids mit Brandenburg-Hintergrund durch Kokelei verursacht hatten. Niemand fühlte sich zuständig für die Reparatur, und der Besitzer war nicht zu ermitteln - aus Datenschutzgründen, wie man uns im Amt mitteilte. Wozu speichern die Leute eigentlich alles auf Vorrat, wenn doch wieder nichts im Haus ist, wenn man was braucht.

Der stolze Hausbesitzer wohnt eigentlich in Bayern und besucht uns jetzt immer. Leider erst jetzt, wo es bereits deutlich nach zwölf ist. Er ist an die 70 Jahre alt, und er liebt Ruinen. Ein stiller, bescheidener Herr ist er, der erst nach einem Schluck Riesling erzählt, dass er nachts immer von Ruinen träumt, schon sein ganzes Leben lang, solange er sich erinnern kann. Doch mit seiner Ruine im richtigen Leben hat er jetzt ein ziemliches Problem: die Hälfte des Hause liegt zum Beispiel gerade in unserem Garten. Die Autoritäten der Ackerbürgerstadt sitzen ihm im Nacken.

Er versucht nun, der Lage Herr zu werden, trägt Stein um Stein, Balken um Balken ab, versucht, Ordnung in den Haufen Schutt zu bringen. Und als ihn der Nachbar über den Zaun mit Sperrfeuer belegt und ihn, den Wessi aus Bayern, beschuldigt, dass sein Haus eine Schande für die Straße und darüber hinaus für die ganze Stadt sei, antwortet er nicht so, wie man das von einem Wessi aus Bayern in Brandenburg erwartet. Er müsste doch sagen: "Gerade ihr, die ihr hier über Jahrzehnte alles runtergewirtschaftet habt! Host mi, Saupreiß!".

Aber er sagt gar nichts, kein Wort. Er lächelt eher unbestimmt als süffisant und geht weiter seiner diskret verzweifelten Aufräumtätigkeit nach. Ein "Immobilienspekulant" aus Westdeutschland - ohne Kapital und in seinem Alter ohne Aussicht auf einen Bankkredit. Und auf der anderen Seite des Zauns ein Besserossi. Menschliche Ruinen gibt es ja überall zu besichtigen.

Beim dritten Schluck Riesling hatte unser bayerischer Wochenend-Arbeitsmigrant wie nebenbei erwähnt, was die Grundlage seiner nächtlichen Traumexpeditionen in Ruinenlandschaften sein könnte. Als Kind hatte er die Bombardierung Dresdens erlebt.

Ein Bayer mit innerdeutschem Migrationshintergrund und einer Leidenschaft für Ruinen? Bei uns ist er willkommen und bekommt auch immer etwas zu essen. Und das mit der Ruine: Das wird schon. Da muss ich meinem Freund doch nur in die Augen sehen.

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