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Kolumne LandmännerAllein unter Heteros: Schwitzen im Sitzen

Wellness am Tag der Deutschen Einheit - es wächst dann zusammen, was zusammengehört

Bild: taz

Martin Reichert ist taz mag-Redakteur.

Wenn Ostdeutsche nicht gerade nackt an der Ostsee herumliegen, gehen sie in die Sauna. Da mein Freund jedoch in seinem früheren Leben als DDR-Bürger in einer solchen tätig war, geht er nicht mehr hin: "Du warst im Solebecken?!? Da wird doch nie das Wasser gewechselt"

Woher soll man das wissen? Woher bitte?

Ich war schließlich noch nie in einer brandenburgischen "Saunalandschaft", wie das im Jahre 19 der Wiedervereinigung jetzt heißt. Und apropos zusammen: unter anderem eben nicht, weil mein Freund ja nicht mitgehen will, musste ich halt auf eigene Faust los.

Allein unter Hetero-Ossis. Ohne Scout, ohne Gewährsmann, Anwalt, Rechtfertigung, Übersetzer.

Und ja: In der "Saunalandschaft" ist es wie in einem anderen Land. Es fängt schon mit der Begrüßung an. Man bekommt zwar an der Kasse zur Begrüßung kein Geld (und muss, wie überall auch, welches abgeben), wird aber im Folgenden von allen begrüßt. In der Umkleidekabine, im Solebecken und in jeder einzelnen Saunakammer. Bei insgesamt fünf verschiedenen Kammern und geschätzten 20 Gästen kam ich in den eineinhalb Stunden meines Aufenthaltes auf gefühlte 42 Begrüßungen, wenn auch ohne den landesüblichen Handschlag, was wohl der unüblichen Hitze und der damit verbundenen Feuchtigkeitsentwicklung auf den Handflächen zusammenhängt.

Selbstverständlich weiß man in den Saunalandschaften östlich der Elbe mit dem Begriff "Textilsauna" nichts anzufangen. So etwas ist was für verklemmte Wessis - ein Zustand innerer, religiös motivierter Schamigkeit, der mir von ostdeutschen Freunden quasi per Exorzismus ausgetrieben wurde, mittels angeleitetem Nacktbaden in besagter Ostsee, irgendwann Mitte der Neunziger, also noch vor der Einführung von Textil- und Hundestränden auf dem Gebiet der ehemaligen DDR.

So weit, so gut. In diesem Punkt habe ich mein Schamgefühl nun wirklich verloren, was laut Sigmund Freud ja bereits die erste Stufe zum Wahnsinn ist. Die zweite schien mir jedoch aufgrund eines ganz anderen Zusammenhangs plötzlich nah. Der offizielle Kontext, Sauna im Gewerbegebiet einer ostdeutschen Kleinstadt, stimmte nicht mit den mich umgebenden Menschen überein.

Entkleidete Brandenburger Männer jungen und mittleren Alters sehen nämlich genauso aus wie Mainstream-Homosexuelle aus den Neunzigern: Enthaart, Ganzkörper-solariumgebräunt, leicht bis stark aufgepumpt, Tatoo, Piercing, gezupfte Augenbrauen. So was kann leicht zu Missverständnissen führen, und am Ende hat man ein blaues Auge.

Allein unter Heteros. Allein unter Ossis - das Schöne daran ist, das aufgrund des informellen Schweigegebotes in der Saunalandschaft niemand nichts Genaues weiß: Wer ist hier Ossi, wer Wessi? Wer schwul und wer hetero? Klar ist nur, dass man gemeinsam im Sitzen schwitzt - oder eben im, angeblich verunreinigten, Solebecken liegt.

Was uns zum Tag der Deutschen Einheit führt: Wir sitzen ja nun, Ost und West, schon länger gemeinsam in der Wanne. Und ja, vielleicht könnte man das Wasser mal wieder reinigen. Aber nackend sehen die Menschen nun mal schon ziemlich gleich aus, gemäß der alten Angstbewältigungsstrategie: Stell dir deinen Feind einfach in Unterhosen/nackt vor.

Also stellen wir uns doch zum Tag der Deutschen Einheit einfach mal vor, dass wir alle gemeinsam in der Saunalandschaft Deutschland stehen und die Nationalhymne singen, brüh im Glanze und so.

Mein Freund fragte mich - wegen dieser meiner Gedanken zum Tag der Deutschen Einheit - dann abends erst mal, ob ich mein Hirn womöglich zu lange in der Dampfsauna hatte garen lassen. So ist das mit der deutschen Einheit: Man redet aneinander vorbei. Steht man ganz alleine in der Saunalandschaft und dünstet im eigenen Vorurteil vor sich hin. "Die" und "Wir".

Antwortete ich also: "Du und ich - nächste Woche mal gemeinsam in die Sauna?"

MARTIN REICHERT

LANDMÄNNERFragen zum Schwitzen? kolumne@taz.de Montag: Adrienne Woltersdorf ist OVERSEAS

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