Kolumne Konfusion statt Konfuzius: Was hat Klinsmann mit Osama zu tun?

über Kurzschlüsse und des Bayerntrainers Maxime permanenter Perfektionierung.

Um es gleich kurz zu machen: gar nichts. Doch hätten Sie einen Artikel zu lesen begonnen, der mit "Lektüre und Elektrizität" überschreiben wäre? Sehen Sie.

Denn das Spannende, wenn man - wozu ich sonst nicht neige - einige Bücher parallel liest, sind ja zuweilen diese Kurzschlüsse: Verbindungslinien, die sich unvermutet zwischen Texten auftun und Leseerwartungen horizonterweiternd durchkreuzen.

So im Sommerurlaub, hie Lawrence Wrights "Der Tod wird Euch finden", eine Studie über Al-Qaida und 9/11: aus purem Interesse; daneben Büchners "Dantons Tod", zur Vorbereitung meines Seminars im Wintersemester. Osama bin Laden und Maximilien de Robespierre. Beide keine geborenen Verbrecher und wie es scheint, auch keine grundschlechten Menschen. Eher konsequent und asketisch. Beide auch mit der Möglichkeit, dies nicht nur als Privatpassion zu pflegen, sondern Wirkung zu entfalten, sich eine Mission aufzuerlegen. Bis der Rubikon überschritten war und erste Köpfe rollten. Was, weil sich Mord und Totschlag eben doch nicht gehören, gerechtfertigt werden musste: im Namen des Vaters, des Sohnes, des Propheten oder eben der Tugend. Und wem es mit dem nötigen Fanatismus gelingt, sich seinen ideologischen Überbau zusammen zu zimmern, der geht über Leichen und kann auch damit leben, zumindest tagsüber; des Nachts schaut's schon anders aus: Danton, Erster Akt, Szene "Ein Zimmer."

Zwei, drei Wochen später: Der Supermarkt am Eck, und als O-Ton-Freak nimmt man auch jene Lautsprecherstimme wahr: "REWE - jeden Tag ein Stückchen besser." Natürlich braucht's kein langes Gegrübel, woher man diesen Sermon kennt. Klar, Klinsmanns Credo, eine seiner zahlreichen Missionen, die freilich schlicht unrealisierbar, als Zielvorgabe mithin Humbug ist, nicht zuletzt, weil dieses tägliche peu à peu nicht nur kickende Zeitgenossen komplett überfordern würde. Meine Tochter jedenfalls hätte mir, mit der Erziehungsmaxime permanenter Perfektionierung konfrontiert, vermutlich den Vorschlag gemacht: Sag mal, Papa, langt nicht auch einmal pro Woche? Jeden Tag ein Stück besser: Geschwätz, wenngleich durchaus ehrbar und vermutlich auch ehrlich gemeint.

Und natürlich wohl kalkuliert: geht es doch - wie weiland bei der Expedition Sommermärchen, meinetwegen auch wie bei Robespierre und bin Laden - zunächst um die verbale Lufthoheit, die es mit derlei Einschüchterungsvokabular zu erobern gilt. All dieses Projektleitergeschwurbel, in dem Teilziele definiert, Evaluierungen durchgeführt, Optimierungskonzepte implantiert werden, Trainerstäbe In-puts und Out-puts produzieren und dabei ohne Ende Energieströme fließen. All dieser Neusprech also, der zumal in diesen Tagen und Wochen, in denen die Tempel des Turbokapitalismus zusammenkrachen und die masters of the universe um Hilfe zu betteln beginnen, bereits wie von vorvorgestern klingt.

Um es klarzustellen: mich hat's gefreut, als er bei uns angeheuert hat, und Kredit ward ihm ja gleich mehrfach gewährt: Erstens weil er im Tagesgeschäft neu ist, zweitens weil es nach einer nationalen Durchmarschsaison wie der letzten immer schwer(er) wird, weil drittens der Kader qualitativ nicht nennenswert verstärkt wurde und nach globalen bzw. kontinentalen Turnieren die Nationalspieler post festum aus diverser Herren Länder nicht nur tröpfchenweise, sondern auch höchst unterschiedlich motiviert wie malträtiert an die heimischen Fleischtöpfe zurückkehren. Als Parteigänger der Roten seit 1965 an einiges, mithin auch diverse zwischenzeitliche Durststrecken, gewöhnt, hätte unsereins deshalb nicht nur den Stotterstart der Bayern, sondern auch deren jüngsten Vereinsrekord - während der Wiesn in der Bundesliga sieglos - in Maßen geduldig akzeptiert. Wer die Übernahme der Übungsleitung allerdings mit einem solchen Bohai inszeniert, als gelte es den Fußball mit vertikalen Stichen in diverse Schnittstellen, fliegenden Wechseln von 4-3-3 zu 3-5-1 oder 3-4-3, neu zu erfinden: der muss - Konfusion statt Konfuzius - halt auch mit Spott und Häme leben, die er sich eigentlich hätte ersparen können. Denn eigentlich mag ich Klinsmann, wenn er nicht grad Polen "durch die Wand hauen" will, ganz gern. Nicht zuletzt deshalb, weil er seinerzeit mannschaftsintern den wackeren Widerpart des unsäglichen Loddar gegeben hat.

Und sollte es an der Säbener Straße doch nicht hinhauen, hätte er ja als Marktleiter bei REWE immer noch beste Chancen.

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