Kolumne Kirchentag Gottlos: Gott ist Rebellion, Gott ist sexy

Jetzt, wo alle ausgetreten sind, ist Religion wieder geil. Wie ein superguter Dönerladen in Berlin-Mitte, den noch keiner kennt.

Ein Kreuz vor blauem Himmel

Der neue heiße Scheiß: Religion Foto: dpa

Schock deine Eltern – mach Theologie“, wirbt ein Plakat in der Uni raffiniert. Bald wird es in der taz nicht mehr Debatten über Bundeswehranzeigen geben, sondern über Kirchenwerbung. Gott ist Rebellion, Gott ist sexy, jetzt, wo alle ausgetreten sind. Wie ein superguter Dönerladen in Berlin-Mitte, den noch keiner kennt.

Umzuschalten auf ein Programm der Bedeutung und Offenbarung, wenn sämtliche Rohre im Alltagsleben auf die Rezeption von YouTube-Dokumentationen und die Wahrnehmung von scheinbar Unbedeutendem wie den Verhaltensmustern von Rolltreppen oder Stadttauben zielen, erweist sich indes auch für die Kinder als schwierig.

Aber nichts ist unmöglich, und so hat jenes höhere Wesen, das wir verehren, selbst mir, seinem (schon allein mangels gefülltem Handyakku) unerreichbarsten Jünger ein Zeichen seiner Größe und Güte in den Hausflur gestopft: den Gemeindebrief. Dieser mag als Monstranz dessen dienen, was für mich und meinesgleichen, die es eigentlich nicht gibt, aber in Sachen Erlösungsabgewandtheit ganz vielleicht doch schon, Kirche im Durchschnitt so ist.

„Ich und der Vater sind eins“, heißt es in Johannes 10,30 – oder war es doch bei Freud? Steht jedenfalls gleich auf der zweiten Seite, ganz oben, und darunter die Geschichte einer eingestellten „Reinigung“, von deren Schild zuerst das R „zum Opfer gefallen war. Dieses Schild machte nachdenklich. Sollte man nicht dort ein Büro für ‚EINIGUNG‘ einrichten? Bei all den Differenzen in Politik und Privatleben wäre so etwas wirklich nötig. Es ist doch immer so gut, wenn man sich einigen kann. Aber wie oft schafft man das nicht.“

Wohlgesprochen, Geist des Christentums! Und wer bei „Einigung“ zuerst an DDR oder neoliberale Diskurspolitik denkt, was ja so ziemlich dasselbe ist, der soll doch konvertieren. Oder wie?

Ein Leben ohne Angst?

Unversöhnt gehe ich also auf den Kirchentag nach Dortmund, meinen ersten übrigens, und werde dort Vulven malen, Spirituelles Handauflegen erfahren, Godly Play – Geschichten erleben, womöglich mit der Kinderfeuerwehr Dortmund.

Ganz besonders freue ich mich auf die Diskussion über Entrepreneurship und Kirche und den Themenschwerpunkt „Angst“: German Angst ist da das Thema, Was für eine Angst und, beinahe apokalyptisch, ein Leben ohne Angst?!

Kirchentage unter evangelischen ChristInnen heißt: Ernst zu nehmen, was dort verhandelt, erörtert, begrübelt und was direkt zur Sprache gebracht wird.

In Dortmund stehen Themen wie Migration, Feminismus, Klima und Umwelt im Mittelpunkt. Typische taz-Themen also.

Deshalb begleiten wir den Kirchentag auch: vor Ort und mit vier täglichen Sonderseiten in der Zeitung. Die taz Panter Stiftung hat dafür 9 junge JournalistInnen ins Ruhrgebiet geschickt.

Das scheint in der Tat schwer vorstellbar. Und so bleibt mir nur, Ihnen noch einmal fromme Worte aus dem Begleitheft der Kiez-Kirchen-Hölle mit auf den Weg zu geben.

Es geht um einen von Konfirmanden gestalteten Gottesdienst. „Zufällig kam genau in den Reihen, in denen wir saßen, unser Sohn vorbei und hat die Frage ‚Was ist das Wichtigste im Leben‘ in den Raum gestellt. Wir hatten Augenkontakt, und ich habe ihm sehr spontan geantwortet: ‚die Familie‘. Er musste darüber lächeln, vielleicht etwas verschämt. Bestimmt hat er gedacht: ‚meine Mutter wieder‘. Es war ein schöner Moment.“

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Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.

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