Kolumne Katastrophen: Abnorm groß, mikroskopisch klein
Etwas stimmt nicht beim neuen "Hulk"-Film. Aber es stimmt ja auch sonst kaum etwas, wenn's um den Phallus geht.
Kirsten Reinhardt (31) arbeitet in der Online-Redaktion der taz.
Nehmen wir mal den Hulk, den Unglaublichen. Im Normalzustand ist er ein eher unscheinbarer, aber dafür mit umso größerer Intelligenz ausgestatteter, Nuklearphysiker mit dem schönen Namen Bruce Banner. Und Amerikaner. Das sollte man wissen, um die folgende Prüderie besser einordnen zu können. Banner wurde bei einem unglückseligen Unfall mit Gammastrahlung derart verseucht, dass er sich bei großer Aufregung in ein grünes Monster verwandelt. Schnellt sein Puls über 200 - zum Beispiel, wenn das Militär ihn wieder mal angreift oder er sich kurz vor dem Koitus befindet - piept sein digitaler Pulsmesser und es heißt: ganz ruhig. Atmen. Sonst wird Banner zum Hulk und das Fürchterliche passiert: Die Muskeln wachsen, der ganze Körper explodiert förmlich und die Bruce-Banner-Klamotten platzen ihm vom Leib.
Da es ja nun gar nicht ginge, wenn dieser Hulk mit einem riesig-grünen Gemächt durch die Straßen von New York tobte, hat der Drehbuchautor vorgesorgt und lässt Banner in regelmäßigen Abständen Riesenshorts mit dehnbarem Bund einkaufen. Damit der Hulk wenigstens ein letztes Feigenblatt - sei es auch aus lila Satin - am Leib hat. Dieses Ritual wird in der neuesten "Hulk"-Verfilmung, mit Edward Norton in der Hauptrolle, sogar thematisiert. Seine Ex- oder Nicht-mehr-ganz-so-Exfreundin besorgt ihm neue Riesenshorts, denn "das kann man den Leuten ja dann doch nicht zumuten, hihi". So hihi ist das gar nicht, verfolgt man den weiteren Verlauf des Films aufmerksamen Auges.
Da ist nämlich Emil Blonsky. wetter- und kriegseinsatzgegerbter Militär mit rabenschwarzer Seele. Er will Hulk besiegen und lässt sich mit einer Gamma-Infusion zum noch kolossaleren Monster aufpumpen. Ohne - und hier wird es kritisch - dessoustechnisch vorgesorgt zu haben. Er verwandelt sich mit großem Bohei, um dann mit noch größerem Bohei schlimme Verwüstungen in der Stadt anzurichten. Und sein Unterleib? Perfekt bedeckt mit einem hautfarbenen, also grau-grünen Höschen. Da ist kein Schimmer eines schwingenden Riesengliedes zu sehen, auf das die Berliner HipHopper K.I.Z. neidisch sein könnten. Kein großer Schwanz, der mit einem nonchalanten Baumeln einen Wolkenkratzer niedermäht. Alles perfekt verpackt und - perfekt unlogisch. Und das bei einem 125-Millionen-Dollar-Budget. Der halbwegs intelligente Kinozuschauer fühlt sich verarscht und vielleicht ein bisschen erleichtert, denn: Will man das wirklich sehen? Blonskys Schamhaar, so lang wie Turnhallenseile?
Der Hang zur Bedeckung und Verzerrung von Größenverhältnissen hat offenbar Tradition. Schon die römischen und griechischen Statuen eindrucksvoller Götter und muskelbepackter Jünglinge fielen nicht gerade durch Riesenglieder auf. Wenn sie nicht von einem winzigen Blatt bedeckt oder irgendwann im Laufe der Jahrhunderte abgebrochen sind, handelt es sich sogar um auffallend kleine Dinger. Im Berliner Volkspark Rehberge steht eine Bronzeplastik des Bildhauers Wilhelm Haverkamp von 1906. Es handelt sich um zwei, Hulk nicht gänzlich unähnliche, Ringer, deren muskulöse Gliedmaßen sich im Kampf messen. Und an ihnen hängen: zwei winzige Pimmel. Mag sein, dass das schlicht bedeuten soll: "Wir sind nicht erregt vom engen Körperkontakt und damit total hetero!"
Auf jeden Fall ist es eins: nicht maßvoll. Ebenso wenig wie der Riesenphallus, mit dem der unheimliche Alex aus dem Film "Clockwork Orange" die Künstlerin Cat Lady erschlägt.
Auch in Japan geht man ziemlich großzügig mit der Sache um. Einmal im Jahr wird dort Honen-Matsuri, das Fruchtbarkeitsfest, gefeiert. Bis zu zweieinhalb Meter groß sind die aus Zedernholz geschnitzten Riesenpenisse, die da bei einem Gewicht von 280 Kilo durch die Gegend getragen werden. Das sind mehr als Hulk-Ausmaße. Eher so Emil-Blonsky-mutierte. Entweder ist es abnorm groß oder mikroskopisch klein.
Wenn es um die Darstellung des männlichen Geschlechtsorgans in der Öffentlichkeit geht, ist es offenbar nicht möglich, das rechte Maß zu finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich