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Kolumne KapitalozänMerkel und das Es

Juhu, wir haben schon wieder ein neues Zeitalter: das postfaktische. Man sollte die Dinge besser beim Namen nennen: Neofaschismus ist wieder in.

Auch dieser Koala sitzt überfordert am Fluss der Ereignisse Foto: reuters

E s heißt ja neuerdings, wir lebten in postfaktischen Zeiten. Den Satz hat Angela Merkel genau so am Montag gesagt. Kommende Generationen werden diesen Satz als die entscheidende Aussage ihrer Kanzlerschaft anerkennen. Warum? Nur so ein Gefühl. Aber Fakt.

Ich liebe Merkel dafür, wie sie diesen Satz gesagt hat: „Es heißt.“ Als wäre sie Opfer eines anonymen ES. Dann die „Zeiten“, dieser zurzeit müffelnde Fluss von Eventualitäten, der an uns vorbeizieht und am Ufer rammen die Publizisten ein Schild in den Matsch: ab jetzt postfaktisch. „Post-truth“ heißt das im Englischen, da klingt mehr „Wahrheit“ mit und das ist noch viel quatschiger.

Als hätten wir vorher in einer wahrhaften Welt gelebt. Und nicht in einer, in der Rassismus, Homophobie, Ungleichheit und Krieg normal sind. Wir leben in einer Zeit, in der alle naselang jemand ein neues Zeitalter ausruft. Aber reden wir lieber übers Geld. Und über rechts außen.

Im Fernsehen sehe ich ständig Leute, die sagen, sie würden AfD wählen, weil „die Flüchtlinge“ mehr bekämen als sie. Und dann höre ich, man müsse die Menschen eben verstehen, die haben Abstiegsängste. Globalisierungsängste. Die arme, weiße Mittelschicht. Hach, war das schön in den 70ern, 80ern, im Kalten Krieg. Als man noch wusste: Im Atombunker sprechen wenigstens alle Deutsch.

Das ist das Kapitalozän

ist ein eigenes Erdzeitalter. In dieser Kolumne geht es ums Überleben in selbigem. Vielleicht kennen Sie bereit das Anthropozän. Super Palaverthema. Wie die Kreidezeit, das Jura oder das Paläoproterozoikum, so ist auch das Anthropozän ein eigenes Erdzeitalter. Es besagt, dass die Menschheit durch Acker- und Bergbau, durch Städte, Atombomben und Straßen die Erde so sehr umgegraben hat, dass man das noch in 1000 Millionen Jahren im Gestein erkennen wird.

Das Kapitalozän ist die linksökologische Erweiterung des Anthropozäns. Demnach ist es nicht der Mensch an sich, der Ánthropos, der den Planeten geologisch verändert. Nein, es sind die Kapitalisten. Schließlich können, global gesehen, die meisten Menschen nichts für die Naturzerstückelung.

Wie hoch muss wohl der Einkommensunterschied zwischen einem Migranten und einem armen Mittelschichtler sein, damit Letzterer nicht mehr xenophob ist? Vielleicht 200 Euro im Monat? Ich spende gern. Mal ein paar Fakten: In Deutschland musste bisher kein Bürger auch nur einen Cent wegen der Aufnahme von Flüchtlingen zahlen. Weder sind Renten noch Hartz gekürzt noch Steuern erhöht worden, die Milliarden kommen aus einem Überschuss. Mit dem würden wir sonst Schulden begleichen, für die wir, würden wir sie nicht abbezahlen, statt Zinsen zu bedienen, Geld bekommen würden (Negativzinsen).

Fremdenhass war nie rational

Ja, und die Leute wählen trotzdem rechts, weil wir im postfaktischen Zeitalter leben? Nein, meine Analyse lautet: Die wählen rechts, weil sie Idioten sind. Fremdenhass war noch nie rational begründet. Das ganze Post-truth zu nennen, ist ziemlich faul, aber gerade en vogue, weil Donald Trump damit angeblich einen Politikstil begründet: Er lügt sich eine Welt zusammen, um sich als einzig gültige Autorität zu installieren und weiße Amerikaner als Führungselite zu verteidigen. Das nennt man klassisch Neofaschismus oder Rechtsextremismus. Die Typen waren schon immer immun gegen Fakten.

„Es heißt, wir lebten“, mit diesem Unbehagen, dieser Distanzierung von der Aussage hat Merkel recht. Denn eigentlich erleben wir eine Rückfall in braune Zeiten, kein neues Zeitalter. Jetzt erheben natürlich alle Filterblasentheoretiker Einspruch und sagen: Die Algorithmen sind schuld, die blenden den Leuten immer nur das ein, was sie ohnehin für richtig halten.

Ja, stimmt. Aber das ist nicht die Ursache, sondern ein Verstärker. Basal geht es darum, dass asoziale Menschen entscheiden, ihr Stück vom Kuchen mit niemandem teilen zu wollen. Da hat sich präpostfaktisch und postpostfaktisch nichts geändert.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • "Warum? Nur so ein Gefühl. Aber Fakt." Falsch: Nicht Fakt, sondern Post-Fakt.

     

    Und nun Klartext: Ja, wer rechts wählt, ist ein ziemlicher Idiot. Nur: Keiner von uns kennt einen Zauberspruch, den man bloß sagen muss und dann sind die Idioten plötzlich alle klug, gestorben oder eingesperrt. Wer etwas anderes behauptet, lügt. Er ist damit ein Hipster, wenn ich richtig las. Ein Mensch also, der seiner Zeit angeblich weit voraus ist oder wenigstens sehr auf der Höhe – und trotzdem ausschaut wie ein Höhlenbär.

     

    Wer einen Politikstil, den der Donald Trump begründet hat, kritiklos akzeptiert und für sich anwendet, ist meiner Ansicht nach gar nicht "en vogue". Er lügt sich etwas vor, wenn er das glaubt. Der Hintern einer Kuh ist immer noch ihr Arsch, auch wenn man die Kuh selber auf die Hörner stellt.

     

    Und nun? Nun sollte man etwas dagegen tun, dass Leute dämlich sind – beziehungsweise was dafür, dass sie ein ganz klein wenig klüger werden. Die Frage ist halt: Was genau?

     

    Dass es genügt, sie als Idioten zu beschimpfen, ist unwahrscheinlich, fürchte ich. Man frage sich doch bloß mal selbst. Bei mir, da bin ich ziemlich sicher, würde ein Oberlehrer sich die Zähne ruinieren. Was ich nicht selbst erkannt hab, weiß ich einfach nicht. Wenn ich kapiere, dass ich ein Idiot war, ändre ich mich. Bis da hin aber können meine Kritiker mich mal...

     

    Ein großer Teil der Menschheit lügt sich eine Welt zurecht, in der er selbst Autorität besitzt. Und warum das? Weil auch "moderne" West-Gesellschaften gar keine sind. Sie sehen bloß so aus. Wer nicht autoritär sein kann, ist quasi gar nicht existent. Die „Linke“ bietet keine anderen Träume an. Die freut sich schon, wenn Frauen auch mal Chefchen werden dürfen.

     

    Um neue Sprechblasen für den bekannten alten Mist ist man auch links der Mitte nie verlegen. Sie sollen Fortschritt suggerieren, wo keiner ist. Der Abfall stinkt natürlich trotzdem noch. Am Kopfende vom toten Fisch nicht weniger als unterm Schwanz der Kuh.

  • 2G
    23138 (Profil gelöscht)

    Bemerkenswert gut getroffen, Herr Arzt!

    Mehr solcher Artikel würden sogar gewisse aufklärende Wirkung hin sich tragen, sie müssten bloß noch von den Menschen gelesen werden, welche solche dringend nötig haben.