Kolumne Jahr des Dopings: Wider die Diktatur
2007 war ein Jahr des Dopings, und es hat auch die Berichterstattung der taz-Sportredaktion ein wenig verändert: Aus uns sind Moralapostel geworden.
"Der Staat sollte ... Wer es ernst meint mit der Bekämpfung von Doping im Sport, der darf nicht davor zurückschrecken ... Der Sport hat nur eine Möglichkeit, seine Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen: Er muss ..."
ANDREAS RÜTTENAUER ist Sportredakteur der taz.
Das Sportjahr 2008, es war ein Dopingjahr. Es hat mich verändert. Aus dem Sportreporter ist ein Zeigefinger-Dinosaurier geworden. Ein Mahner, ein Moralapostel, ein Besserwisser, ja, das auch: ein Hardliner.
Als es darum geht, in Deutschland ein Gesetz zur Dopingbekämpfung zu installieren, ertappe ich mich dabei, harte Strafen für dopende Sportler zu fordern. Ich bin nicht allein: Schummelnde Athleten wollen auch andere im Knast sehen. Was ist nur in mich gefahren? Längst habe ich mich dem Protest gegen Wolfgang Schäubles Überwachungsregime angeschlossen, und doch fordere ich gleichzeitig ein strenges Kontrollsystem für alle besseren Sportler, ein Meldesystem, das es Dopingjägern ermöglicht, den Aufenthaltsort von Sportlern zu jeder Tages- und Nachtzeit abzufragen. Der Sport steckt in der Krise, und ich schreie nach der harten Hand. Was hat der Sport, was hat meine Liebe zu ihm nur aus mir gemacht? Will ich wirklich der Terminator sein, der alle abknallen will, die spritzen, schlucken, inhalieren, was sie schneller und ausdauernder macht? Hasta la vista, Doper!
Die Tour de France zeigt die hässliche Fratze des Radsports. Ich rege mich auf. Patrik Sinkewitz und Alexander Winokurow bezeichne ich als sinistre Typen. Auch der Sieger der Tour 2008, der Spanier Alberto Contador, ist für mich ein Verbrecher, sein Name stand ja mal auf der Liste von Eufemiano Fuentes, dem Blutbeutel-Logistiker. Ich betrachte die Bilder einer Bergetappe. Ein unbekannter Kolumbianer fährt die steilen Pässe schneller hoch als der längst verstorbene Pharma-Radler Marco Pantani. Das Rennen fasziniert mich, obwohl ich mir sicher bin, dass der Kolumbianer irgendeine Droge eingeworfen hat. Muss der Sport wirklich dopingfrei sein, um zu faszinieren, frage ich mich. Ein Hochgeschwindigkeitsmatch in der Fußball-Champions-League kann ich mir ansehen, ohne auch nur ein einziges Mal an Doping zu denken. Und wenn ein Deutscher Weltmeister im Triathlon wird, dann möchte ich darüber schreiben, was ihn am Sport fasziniert, warum er Leistungssport betreibt, wie er dazu gekommen ist, wie er sich als Mensch sieht, wie er die Welt sieht. Will ich wirklich wissen, ob er Doping braucht, um erfolgreich zu sein?
Die Frankreich-Rundfahrt ist zu Ende, die Sommerferien beginnen. Mein Sohn fährt mit seiner Basketballmannschaft ins Trainingslager. Die Eltern haben eine Liste bekommen, auf der steht, was sie den Kindern einpacken sollen. Magnesiumtabletten dürfen nicht fehlen. Schon die Elfjährigen kommen also nicht mehr ohne Nahrungsergänzungsmittel aus. Mein Sohn findet das normal. Ich bin mir wieder sicher: Doping muss bekämpft werden. Und schon regt sich wieder der Zeigefinger. Der Staat sollte ... Wer es ernst meint mit der Bekämpfung von Doping im Sport, der darf nicht davor zurückschrecken ... Der Sport hat nur eine Möglichkeit, seine Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen: Er muss ...
Nein, ich will so nicht mehr schreiben. Für 2008 habe ich mir vorgenommen, anders zu argumentieren. Ich will kein Doping. Eine Antidoping-Diktatur will ich aber auch nicht.
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