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Kolumne In FußballlandSeeliger bleibt cool

Ein arrangiertes Treffen zwischen Kurt, dem Fan, und Rudi, dem Dribbler.

Je älter man wird, desto näher rückt die Jugend. Etwa jene im Wedaustadion zu Duisburg, als dort bei den Spitzenspielen der Siebzigerjahre die Fans auf den Ästen der Platanen saßen, um die Helden des MSV zu sehen, wenn sie mal wieder den Bayern keine Chance ließen oder anderen Großkopferten des deutschen Fußballs. Wenn Bernard Dietz hinten den Sturm aus Hamburg oder Mönchengladbach lahmlegte und vorne noch ein paar Tore machte. Wenn Kurt Jara hinreißende Seitenwechsel über fünfzig Meter spielte und Ronnie Worm durch die Gasse huschte, um frei vor dem Tor zu stehen.

Mein Freund Kurt saß dann nicht im Baum, weil er frühzeitig genug kam, um seinen Mann zu sehen, der auf dem Flügel unglaubliche Tricks zeigte und atemberaubende Schnelligkeit. "Ruuudiii" riefen die Leute und zogen das "u" und das "i" seines Namens so lang wie später nur noch bei Rudi Völler. Immer erzählte Kurt davon, dass der Duisburger Rudi sein Lieblingsspieler aller Zeiten sei, bis auf den heutigen Tag. Und dann fällt ihm ein, dass er alles vergessen hat, als er Rudi Seeliger endlich treffen darf. Er hat keinen Stift dabei, keine alten Bilder zum Signieren und einen Fotoapparat hat er auch nicht mitgebracht. Aber das macht halt die Nervosität, wenn man seinen Star trifft. Gut also, dass der an alles gedacht hat. Etwa die kleine Fotoserie, auf der man ihn noch mit einem Seventies-Schnauzbart in voller Pracht sieht. Oder die Szene aus dem Spiel gegen Hamburg, wo er zweimal traf.

Es war nicht ganz einfach, dieses Treffen zu arrangieren, denn allein der Satz, "Ich würde Sie gerne zum Geburtstag verschenken", birgt diverse Missverständlichkeiten. Aber letztlich war es so, denn Kurt sollte zu seinem 50. Geburtstag eine Begegnung mit dem Spieler geschenkt werden, für den er sich in seinem Leben am meisten begeistert hat. Und weil es für solche Wünsche keine Serviceagenturen gibt, bedurfte es diverser diplomatischer Vorstöße und Ums-Eck-Kontaktaufnahmen, bis ich dem Mann die Idee persönlich unterbreiten konnte und er netterweise einwilligte. Dann mussten noch einige Terminabsprachen gemacht werden, bis sich Star und Fan endlich die Hände schütteln konnten.

Seeliger ist auch dank vieler Stunden auf dem Golfplatz nicht nur in blendender körperlicher Verfassung. Noch immer hat er die lässige Ausstrahlung eines Mannes, der eben genau weiß, wie man Berti Vogts durch geglücktes Dribbling ein Schleudertrauma verpasst. So einer braucht keinen Psychologen und hat ihn auch früher nie gebraucht, als man erstmals den Sportlerseelen auf die Sprünge helfen sollte. Rätselhaft war, warum sich der Psychologe beim MSV Duisburg mit einem Test am Lügendetektor einführte. Seeliger als Kapitän musste als Erster ran, aber trotz pikantester Fragen blieb er cool: "Da schlug nichts aus." Anschließend war er von der Arbeit mit dem vermeintlichen Motivationshelfer befreit, der sowieso nicht lange blieb.

Seeliger ist auch heute kein Mann vieler Worte, weshalb ihm damals Trainer Heinz Höher besonders gut gefiel, der nicht viel mit seinen Spielern redete. Sie waren halt Männer, wie sie heute selten geworden sind, und trugen klaglos zwei Medizinbälle in höchstem Tempo über die 400 Meter - "zum Warmmachen", wie Seeliger sagt. Sie liefen x-mal 600 Meter hintereinander und durften anschließend nichts trinken, außer Milch. Und ehe ein Konditionstrainer zumindest etwas Moderne ins Training einziehen ließ, waren sie samstags manchmal richtig müde.

Besonders schön beim Treffen mit seinem Star ist es, Gemeinsamkeiten festzustellen, bei Rudi und Kurt ist es die Flugangst, die für beide auch heute noch das Reisen im Flugzeug zu einer eher anstrengenden Sache macht. Er drückte sich davor so entschlossen, dass es ohne Flugangst noch ein paar Spiele in den diversen Nationalmannschaften mehr geworden wären.

Mehr möchte ich von der kleinen privaten Plauderei aber nicht verraten (auch keine Details über Seeligers ungebrochene Begeisterung für schnelles Fahren), außer dass Kurt hinterher ziemlich strahlte. Es sollte wohl jeder mal seinen Star treffen, jedenfalls so lässige wie Rudi Seeliger.

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