Kolumne Immer bereit: Das ist das Mütterwissen
Babies sind wie kleine Taschenspiegel, die der Narzisst jederzeit im Kinderwagen vor sich herschieben kann.
Nachts halb eins vonna Lesung nach Hause. So lange war ich ewig nicht mehr draußen. So lange bin ich normalerweise nicht mal mehr wach. Ich trinke auch keinen Alkohol mehr. Heute hatte ich ein kleines Bier. Hui!
Schönhauser Allee/Ecke Sredzkistraße ist die Ampel neu geschaltet. Fußgänger haben grün, Radfahrer rot, irgendein Pfeil leuchtet. Ich bin verwirrt und bremse.
„Nich bei rot fahren!“, verarscht mich eins der Hipsterkinder, die sich im Rotlicht der Ampel zusammengerottet haben. Er selbst mit Dutt hinten am Kopf und Brille vorne, gaukelt mir auf einer Schrottscheese von Fahrrad auf der falschen Seite entgegen. Über den Fußgängerweg. Vor einem fahrenden Auto.
Die Kinder grinsen doof. Manno!
Nun bin ich Mutter
Ich wohne zurzeit in einem Kaff im Schwarzwald. Da sind nach Einbruch der Dunkelheit ausschließlich Katzen auf der Straße. Laut sage ich: „Du bist noch nie überfahren worden, ne?“ und lächle milde.„Ich lebe ja noch“, flötet er und wendet sich ab. Krass, denke ich, nu biste die alte Tante!
Vor einem Jahr hätte ich auch noch jede Ampel bei rot genommen. Da hab ich aber auch noch Alkohol vertragen, nachts durchgeschlafen und war nur für meine eigene läppische Existenz verantwortlich. Nun bin ich Mutter. Ein Mensch ist von mir abhängig, ein winzig kleiner, der weder laufen noch sprechen kann. Deswegen ist mein Leben mehr wert.
„Das ist doch Quatsch!“, ruft mein Kleinhirn von hinten im Kopf. „Dein Baby könnte von jedem anderen aufgezogen werden. Es gibt Kinder, die wurden von Wölfen gesäugt.“
In Wahrheit ist es doch so, dass so ein Baby ein unfassbarer Egobooster ist. Es freut sich immer, einen zu sehen, stellt keine Ansprüche, ist kein bisschen nachtragend, ist unfassbar niedlich und riecht selbst nach dem Kotzen noch gut.
Mit Staunen hab ich früher immer beobachtet, wie aus den aufgescheuchten Hühnern unter meinen Freundinnen stabile, in sich ruhende Persönlichkeiten wurden, sobald sie ein Baby bekamen. Jetzt weiß ich, wie sich das von innen anfühlt.
Man kommt sich so wertvoll vor, wenn man für ein Baby sorgen darf. Alles andere ist plötzlich egal. Abgesehen davon ist man ständig müde und wirkt schon deshalb immer ein bisschen druff. Deshalb stört einen der Lärm auch nicht, den die Gören verursachen.
Früher war ich empfindlich
Was hab ich mich früher geärgert, wenn die Leute am Nebentisch im Restaurant ihre Filiusse nicht unter Kontrolle hatten. Heute verstehe ich, sie waren einfach froh, dass die Kinder nicht weinten, und konnten gar nicht verstehen, was an dem bisschen rumrennen und Teller durch die Gegend schmeißen so anstrengend sein sollte. Das ist das Mütterwissen, dass Kinder noch ganz anders anstrengend sein können.
Früher war ich empfindlich. Heute habe ich es nicht mal mehr eilig. Wozu auch? Ich brauche nichts. Ich habe alles, was ich immer wollte. Ich bin immer glücklich. Egal wo ich bin. Selbst, wenn ich vor Erschöpfung anfange zu heulen, bin ich eigentlich total glücklich.
Wahrscheinlich ist es einfach das: Ich bin in Liebe. Aber nicht diese Sexjunkieliebe, wo man jede Sekunde, die man nicht in dem anderen drin oder wenigstens an ihm dran ist, an Entzugserscheinungen leidet. Mit einem Baby ist man verschmolzen. Die ganze Zeit. Es kann sich nicht dagegen wehren.
Das ist das Tolle an Babys. Sie erwidern deine Liebe. Sie wissen es nicht besser. Sie sind wie kleine Taschenspiegel, die der Narzisst jederzeit im Kinderwagen vor sich herschieben kann. Soviel Bestätigung kriegst du nie wieder im Leben. Zumindest, bis aus den niedlichen Taschenspiegelchen arrogante Hipsterkinder geworden sind, die dich nur noch verarschen.
Aber da steh’ ich drüber. Ick alte Tante.
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