Kolumne Im Fußballland: Herrscher über das Machbare
Bei den Teams eines gewissen Trainingsanzugtrainers fällt man in Tiefschlaf. Das Prinzip lautet seit 100 Jahren Langeweile.
Als ich von der Tribüne des Frankfurter Stadions zum Spielfeldrand hinab schaute, sah ich wie immer ihn. Er war von seiner Trainerbank aufgesprungen und ruderte mit den Armen, als wolle er einen Schwarm Gänse vor sich hertreiben. Er scheuchte aber kein Federvieh, sondern teilte der Welt mit, wie sehr er ihre Ungerechtigkeit beklagt. Friedhelm Funkel tut dies seit vielen hundert Jahren, und so lange schon schaue ich ihm dabei zu. Kein Wunder, dass durch meine Adern nun Blei floss und meine Müdigkeit so groß wurde, dass ich meinen Kopf sinken lassen musste.
Ich schlief ein, doch Funkel war auch dort. Immer wieder sprang er von Trainerbänken auf und entrüstete sich. Er verzerrte dabei das Gesicht, als würde die erlittene Ungerechtigkeit ihn zugleich zerreißen und so wütend machen, wie den alttestamentarischen Gott, als er all die Sünden, Dummheiten und das Versagen der Menschen sah. Nur meinte Funkel allein den Schiedsrichter und trug dabei den Trainingsanzug von Eintracht Frankfurt, den des 1. FC Köln, des MSV Duisburg und von Bayer Uerdingen. Er schäumte und gestikulierte, und dann setzte er sich wieder hin.
Immer noch war ich schwer wie ein Stein auf dem Grund des tiefsten Brunnens, als ich seinen Mannschaften zuschaute. Sie trugen mal schwarz-weiße, mal rot-weiße oder sonst welche Trikots, doch ich erkannte sie sofort als seine Teams. Funkel erschafft sie stets nach dem gleichen, höheren Prinzip: dem der Langweile. Wobei er einfallsreich damit ist, denn im Laufe der Zeiten ist ihm eine permanente Transformation und Perfektionierung des Öden gelungen. Funkel will uns nicht mit interessantem Fußball unterhalten, der auch schief gehen könnte. Er hat das Weltwissen der Pragmatiker verinnerlicht und weiß, das Publikum beklatscht nicht die Schönheit, sondern den Erfolg.
Wenn man selber nichts falsch macht, ist schon viel gewonnen, denn dann ist immerhin nichts verloren. Und vielleicht macht der Gegner etwas falsch, wovon man profitieren kann. So denken viele, aber wenige können es so gut wie er.
Ich wachte auf! Ich sah, wie seine Mannschaft mit sieben Defensivspielern dem Gegner den Ball abjagte. Sie hatte ihn, dann versuchte der Gegner, den Ball zurückzuerobern. Beide Mannschaften waren erst glücklich, wenn sie den Ball nicht mehr hatten und ihn wieder erobern konnten. Die Verantwortung fürs Spiel war damit in fremden Händen, und man konnte sich wieder darauf konzentrieren, nichts falsch zu machen. Wissen Menschen, die nicht regelmäßig ins Stadion gehen, eigentlich, wie langweilig Bundesligaspiele sein können?
Dann fiel ein Tor für seine Mannschaft, und es herrschte Freude und erneut hatte er Recht gehabt. Wie so oft im Laufe der Jahrhunderte seiner Herrschaft über das Machbare.
Er hat Aufstiege geschafft, die nicht selbstverständlich waren und Rettung vor dem Abstieg, die Wundern glichen. Funkel funktioniert unter Druck so gut wie wenige seiner Kollegen, denn als Trainer drückt er nicht seine Persönlichkeit aus oder vertritt eine Ideologie. Er ist deshalb weder überspannt noch labil, er belastet sich nicht mit der Frage nach imaginären B-Noten für Schönheit und Anmut, versucht nicht interessant zu sein, sondern minimiert einfach die Risiken. Also stellt er eben auch mal sieben Defensivspieler auf, wenn es gegen den Zwölften geht und sein Team Siebter ist.
Gefeiert wird woanders. Als Freund volkstümlicher Vergnügen genießt er singend und schunkelnd den kölschen Karneval, und in seiner Heimatstadt Neuss ist er ein Mitstreiter beim Schützenfest. Meine Zeiten mit ihm haben mich wohl deshalb so schwer gemacht, weil er recht hat. Deshalb ist er auch immer noch da, und ich taumelte wieder einmal von der Tribüne. Ein Kollege sagte ermutigend: "Es ist schon besser geworden." Wer bin ich, zu widersprechen?
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