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Kolumne IdoleFremdkörper im Gesicht

Alte Männer können durchaus modische Vorbilder sein – zumindest wenn es um Brillen geht.

D as kann doch jetzt nicht sein, kann da bitte mal einer was machen? Wieso trägt jetzt Bastian Schweinsteiger eine große, schwarze Brille und die Zeitungen einmal längs durch die Republik loten deren modische ("Er ist eben ein Trendsetter", Münchner Abendzeitung) bis nichtmodische ("Er gibt sich ironiefähig", Zeitmagazin) Bedeutungen aus - wenn doch meine höchstselbsteigene große schwarze Brille abholbereit beim Optiker liegt und auf mich wartet, während ich diese Zeilen schreibe?!

Im Ernst, Sie können froh sein, dass ich überhaupt ohne Brille in den Computer tippen kann. Hat sich doch mein einst gerühmter Adlerblick in ein verschwommenes Blinzeln verwandelt und dazu geführt, dass ich das letzte halbe Jahr öfters mit zusammengekniffenen Augen, buchstabierend wie eine Erstklässlerin, unter Straßenschildern oder zusammengekauert vor den Fernsehuntertiteln zu finden war.

Da habe ich mir also endlich meine optische Unzulänglichkeit eingestanden, bin brav zu einer Augenärztin getrabt, habe erfahren, dass ich mal besser eine Brille trage, und mich für eine Billig-Ray-Ban-Wayfarer-Kopie entschieden.

Bild: taz

Kirsten Reinhardt ist taz.de-Redakteurin.

Und jetzt steht da im Zeitmagazin eine Gesellschaftskritik über des FC-Bayern-Spielers Schweinis neue Brille. Mir ist schon klar, dass ich nicht die Erste (sondern eher die Hundertmillionste) bin, die mit einem Nerdmodell daherkommt, das diesen Witzgestellen, mit hautfarbener Plastiknase und Schnurrbart daran, nicht unähnlich ist. In den 90ern hieß sie Jarvis-Cocker-Brille (obwohl der sie wiederum von Elvis Costello haben dürfte), davor trugen sie Peter Sellers und mein Opa (von denen Elvis Costello sie wiederum haben dürfte).

Letztere sind übrigens die modischen Vorbilder, an denen ich mich bei der Auswahl des Gestelles orientiert habe. Es gibt ein altes Passfoto, darauf sieht mein Opa Paul dem Peter Sellers der frühen 1960er geradezu verblüffend ähnlich. Schwarzglänzendes Haar, leicht gewellt nach hinten gelegt; ein stolzes Profil (Kinn! Nase!) und doch eine feine Andeutung von Ironie um die Mundwinkel. Und natürlich: ein überdimensionales Brillengestell aus schwarzer Plaste.

Die Absichten, die den Großbrillenträgern im Zeitmagazin attestiert werden, sind neben der Demonstration der Fähigkeit zur Ironie auch das Ablenken vom "Gleichmaß ihrer jugendlichen Gesichter". Ich denke, es ist eher das "nicht Eins-sein-Wollen" mit der Tatsache, dass man auf eine Sehhilfe angewiesen ist, die einem zum Nerd-Modell treibt. Während eine (ihhh!) randlose Brille nahezu im Gesicht verschwindet, geradezu duckmäuserisch in ihm aufgeht, sagt die Chemikerbrille "Mit diesem Scheiß namens Dioptrinschwäche hab ich mich längst nicht abgefunden." Die Brille hält eine Distanz zur eigenen Unzulänglichkeit dadurch, dass sie wie ein Fremdkörper im Gesicht sitzt. Das ist jedenfalls die küchenpsychologische Deutung meiner eigenen Entscheidung. Und natürlich: Peter Sellers und mein Opa.

Also wehe, wenn auch nur ein einziger Idiot sagt, wenn er mich demnächst das erste Mal mit meiner neuen Sehhilfe sieht: "Hey, du hast ja jetzt auch eine Schweinsteiger-Brille!"

P.S. Mir fällt gerade auf, dass ich ja eine Frau bin und hier nur von Männern und ihren Brillen die Rede ist. Deswegen hier also ein kurzer Nachtrag zur Nerdbrille bei Frauen: Wird in US-amerikanischen Filmen meistens eingesetzt, um ein unscheinbares bis vermeintlich hässliches Mauerblümchen durch Absetzen der Brille und Schütteln des Haupthaars zur heißesten Frau der High School werden zu lassen. Mist, habe keine Haare zum Schütteln.

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3 Kommentare

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  • MM
    Matthias Mersch

    Liebe Frau Reinhardt,

     

    Nur keine Bange: Haare schütteln ist unnötig! Wenden Sie die (bebrillten) Augen ab von amerikanischen High-School-Filmen und sehen sie sich stattdessen (wieder einmal?) 8½ von Federico Fellini an. Anouk Aimeé – sowieso eine tolle Frau und Schauspielerin –wirkt gerade dadurch sexy, dass sie ihre Nerdbrille aufbehält und mit klarem Blick Dinge und Menschen wahrnimmt.

     

    Herzlichst

    M.M.

  • A
    anke

    Danke, Frau Reinhardt, für Ihre Selbstauskunft. Ihre küchenpsychologische Fremdkörper-und-Großvater-These ist die erste einigermaßen plausible Begründung, die mir für diese Gesichtsdekorationen namens Ray Ban (Pilotenbrille, immerhin, sagte mir auch gestern schon etwas) untergekommen ist. Als Real-Native-Brillenträger mit unübersehbarem Hang zur 50 habe ich bisher immer mit größtem Unverständnis reagiert, wenn jemand seinen Sehfehler zum zentralen Thema seines Gesichts erhoben hat. Zu gut kann ich mich noch an jene wahrlich dunklen Zeiten erinnern, in denen es zum Kunststoff keine Alternative (Gestell) bzw. keine Technologie (Gläser) gab. "Nie wieder", habe ich mir geschworen, als ich endlich das gefühlt 500 g schwere Modell meiner Kinderjahre gegen eine dieser federleichten, sich quasifeige dem Gesicht unterwerfenden Randlosbrillen tauschen konnte. Tja, so ist das wohl immer: Die Rückseite des Mondes ist besonders gut zu belachen, weil sie dem Auge nicht sichtbar ist. In Zukunft werde ich wohl weniger kritisch sein. Überzeugte Ray-Ban-Träger, weiß ich ab heute, sind Leute wie Sie und ich – nur noch nicht ganz so gelassen.

  • T
    Tom

    In Nordamerika schon lange ein Accessoire der Hipster-Bewegung! Wenns einem steht, warum nicht!