Kolumne Hier und dort: Zehn Uhr nachts
In Damaskus fürchtet man die „Fledermäuse“, in Berlin begegnet man einem Fuchs. Dinge, die den Unterschied zwischen Krieg und Frieden machen.
Zehn Uhr nachts in Damaskus. Du streifst durch die Altstadtgassen. Außer deinen Schritten und dem nächtlichen Grillengezirpe ist kaum ein Laut zu hören. Gehst du etwas näher an den niedrigen Fenstern vorbei, dringen Küchengeräusche an dein Ohr. Eine Frau, die bei Kerzenlicht das Abendessen zubereitet und dabei von Zeit zu Zeit den Kochtopfdeckel scheppern lässt.
Es ist Krieg. Überall herrscht Dunkelheit, Strom ist eine Rarität geworden.
Die Viertel, in deren Restaurants und Kneipen wir so oft die Nacht durchgefeiert hatten, sind nun schon am frühen Abend wie ausgestorben. Ihre Bewohner verkriechen sich in ihre Häuser, bevor die „Fledermäuse“ des Schreckens erwachen und die allnächtlichen Rituale des Krieges einsetzen.
Du aber, oh nächtlicher Abenteurer, der du deine gut trainierten Sinne umherschweifen lässt, wirst mit etwas Glück Zeuge davon sein, wie diese „Fledermäuse“ gestandene Männer in Fesseln legen und verschwinden lassen, weiß der Teufel wohin. In dem Fall sollten aber vor allem deine Beine gut trainiert sein, denn es kann jeden Moment passieren, dass du dich ganz schnell aus dem Staub machen musst.
Die Liebe bleibt
Der Krieg löscht viele Spuren aus, doch nicht so die Spur der Liebe. Im Winkel einer Altstadtgasse steigt dir ihr Duft in die Nase... zwei Liebende, die es sich dort schon eine Weile bequem gemacht haben. Du denkst: Dieser Dunkelheit ist auch nicht zu trauen, selbst die verpfeift die Liebe.
Da fallen dir die „Fledermäuse“ ein, die nachts kommen, um die Männer mitzunehmen. Schnell verscheuchst du den Gedanken aus deinem Kopf und schaust dich um, ob ihn nicht jemand mitgehört hat.
Du lenkst deine Schritte in Richtung deiner Wohnung. Immer wieder der gleiche Anblick, Häuser und Dunkelheit, leere Winkel. Dann bist du alleine und Erinnerungen laufen wie in einem Film vor deinem inneren Auge ab, jäh unterbrochen vom Geräusch der Feuersalven, das von irgendeiner der nahegelegenen Frontlinien kommt.
Hier in Berlin hingegen stoße ich um zehn Uhr nachts auf einen kleinen Fuchs, der die Ruhepause der Stadt genutzt und sich aus dem Park neben der Straße hervorgewagt hat, um im Umkreis der Gebäude ungestört nach Essensresten zu suchen.
Gedämpftes Licht
Der Fuchs und ich sind als einzige noch unterwegs. Ich komme von einer Party bei Freunden zurück, während für ihn die Party gerade erst begonnen hat.
Die Bewohner dieses Viertels gehen früh ins Bett, vor allem im Winter. Nicht um dem Krieg zu entfliehen oder aus Angst vor Entführern oder zermürbt von den Stromausfällen – ihre Stadt hat sich von den Freveln des Krieges rein gewaschen, sich davon befreit, wenn auch vor noch nicht so langer Zeit.
Der Grund ist vielmehr, dass am nächsten Morgen wieder ein langer Arbeitstag bevorsteht. Da heißt es früh schlafen gehen. Aus den mit schönen Stoffgardinen behängten Fenstern einiger Häuser dringt flackernder Kerzenschein. Die Leute scheinen sich einen ruhigen Abend zu machen. In dieser Stadt kommt es zwar nicht zu Stromausfällen, doch ziehen ihre friedlichen Bewohner gedämpftes Licht vor.