Kolumne Herr Tietz: Da hilft auch kein Gott-Doping
Noch lässt sich nicht nachweisen, ob Ralf Schumacher tatsächlich ferngesteuert ist.
Ein Spiel hat 90 Minuten. Mit der Nachspielzeit sinds 120. Länger dauerts nur, wenn es noch ein Elfermeterschießen gibt. Just da bin ich gerade. Beim Elferschießen. Wir schreiben die 142. Minute - oder sagen wir ruhig: Kolumne. Denn exakt das ist sie. Es ist die 142. Kolumne, die wir hier gerade schreiben und, einem entscheidenden Elfer gleich, in der heutigen taz versenken. Danach ist Schluss. Herr Tietz macht seinen letzten Einwurf. Aber ja! Sechsnhalb Jahre sind genug. Im März 2001 wars, als ich die erste Folge ins Wort erlöste. Das muss man sich mal vorstellen. Da standen die Türme noch.
Fritz Tietz ist 47 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport
Im Jungferneinwurf stand übrigens das hier: "Sie sammelt Goldmedaillen wie andere Leute Briefmarken." Gemeint war die Eisschnellläuferin Gunda Niemann-Stirnemann; oder Niemann-Stirneband, wie man sie aufgrund der breiten Schweißbänder auch nannte, welche sie sich, der darauf angebrachten Reklame wegen, stets über den Dez stülpte, sobald das TV in der Nähe war. Der Vergleich mit ihren Medaillen und den gezackten Marken taugte aber eigentlich nicht. Ja, wenn wenigstens die Rückseiten der Medaillen gummiert gewesen wären. Oder ein Philatelist ihre Stirn als Reklamefläche genutzt hätte. Tatsächlich warb Frau Niemann-Stirnemann damals für elektrischen Strom und die Thüringer Wurstindustrie. In einem Radiospot sagte sie: "Und wenn ich gewonnen habe, dann freue ich mich auf eine richtige Thüringer Bratwurst."
Da kann man mal sehen. Was für Leibesübungen im Einwurf so wegkolumniert wurden. Tatsächlich dürften hier sämtliche Disziplinen, wo gibt, mindestens einmal drangekommen sein. Von A wie Altensport bis Z wie TurniertanZ reicht die Palette meiner Sportartenhuldigungen. Auch wenn das nicht alle Behudelten immer so klasse fanden. Die Turniertänzer zum Beispiel. "Ich finde, der Artikel ist eine Beleidigung für alle Tänzer. Oder tut ihr 'rumschwuchteln'?", fragte hinterher einer in ihrem Internetforum. Und ein anderer Dancer greinte in einem Leserbrief: "Da Herr Fritz Tietz so viel von Rumschwuchteln in seinem Artikel schreibt, frage ich mich doch, ob er sein Popöchen auch regelmäßig zum Einlochen seines Lovers in den Himmel reckt? Oder woher weiß er so gut zu beschreiben, wie sich 'Eiergranaten' in zusammengekniffenen 'Stehärschen' anfühlen?" Dies ist übrigens mit Abstand mein Lieblingsleserbrief - von den insgesamt circa dreien, die ich in den sechsnhalb Kolumnenjahren geschrieben bekam.
Selbst solchen Sportlern, die gar keine sind, habe ich im weiten Einwurf den Platz eingeräumt, der ihnen dort nicht gebührt. Ich spreche natürlich von den Golfern: "Nach wie vor gilt das hüftsteife Rumgeputte der albernen Steckenschwinger als eine Exklusivmarotte des vermögenssteuerbefreiten Klassenfeinds, als eine überwiegend von breitärschigen Inkontinenzlern, berufssohnigen Cabriofahrern und verhärmten Zahnarztwitwen betriebene Tagedieberei," so habe ich die notorischen Käppiträger und karierten Caprihösnerinnen mindestens einmal davon zu überzeugen versucht, dass ihrem "Sport" bestenfalls der Status einer Krampfsportart zuzubilligen sei. Genutzt hat es allerdings gar nichts.
Auch meine exklusiven Enthüllungen bewirkten wenig. "Es ist meine Überzeugung, dass es etwas gibt, was uns lenkt," so bekannte sich Formel-1-Pilot Ralf Schumacher zu seinem Glauben an Gott. Ausgerechnet er, der Rennfahrer, gab damit zu, ferngesteuert zu sein. Ich war der erste Sportkolumnist (und bin bis heute der einzige), der das als regelwidriges Gott-Doping interpretierte. Problem nur: der Nachweis. Durch einen der herkömmlichen Dopingtests ist Gott-Doping jedenfalls nicht zu beweisen. Der setzte nämlich voraus, dass sich Spurenelemente Gottes im menschlichen Urin finden lassen. Tatsächlich aber dürfte Gott im Menschen nur dort nachzuweisen sein, wo auch dessen Sportsgeist erzeugt wird: in der Seele. Von der man bekanntlich immer noch nicht weiß, wo sie im menschlichen Organismus angesiedelt ist.
Nicht mal ich konnte das herausfinden. Alles andere aber wurde in meinen 142 Kolumnen erschöpfend behandelt. Weitere Einwürfe habe ich im Moment nicht zu bieten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste