Kolumne Helden der Bewegung: Das Gegenteil einer polierten Fresse
All diese Fehlentscheidungen! Christian Streich, Trainer des SC Freiburg, ist ein Meister des Tränensackhüpfens und Mundringmuskels.
D as Wichtigste am Fußball ist – nein, nicht der Ball. Das wichtigste am Fußball ist das Gesicht, das Christian Streich macht, wenn ihm etwas nicht passt. Denn: viele Menschen haben ein Gesicht, aber benutzen tun es die wenigsten. Christian Streich ist da anders. Seine großen Jochbeinmuskeln haben Ausdruckstanz studiert, sein Mundringmuskel gewinnt auch gegen den talentierten Peter Stöger jeden Zweikampf, der Schmollmuskel ist eine eigenständige juristische Person.
Ich würde soweit gehen zu sagen, dass die rumpelstilzigen Ausdruckstänze, die Streich nach ihm unangenehmen Entscheidungen am Spielfeldrand vollführt, im Grunde auch nur die Verlängerung seiner Mimik sind. Überhaupt, Mimik ist ein kleines Wort für das, was Christian Streich mit seinem Gesicht anzustellen in der Lage ist; das klingt so sehr nach Mimimi.
Richtiger wäre es, vom Memak zu sprechen, wie in mega. Alles zuckt und hüpft und zittert und runzelt und wölbt sich: Was Christian Streich da Spieltag für Spieltag zur Schau trägt, ist das absolute Gegenteil einer polierten Fresse.
Und er hatte auch so viele Gelegenheiten, seine Muskulatur in Wallung zu bringen! Seinem SC Freiburg ist arg böse mitgespielt worden in dieser Saison. All diese Fehlentscheidungen! „Es ist unglaublich“, in der Tat. Die Gelb-Rote-Karte für Petersen auf Schalke, der unberechtigte Platzverweis für Söyüncü gegen Stuttgart und dann nochmal das gleiche falsche Spiel mit Söyüncü gegen den HSV. Und dann noch dieser Halbzeitelfmeter für Mainz 05! Ein Wahnsinn. Zum Tränensackhüpfen.
So ischer halt, der Chrischdian
Aber Streich wäre nicht Streich, wenn er nicht auch differenzieren würde; zwischendrin lobte er auch einmal die Schiedsrichter, insbesondere die Leistung Aytekins gegen Köln. Der hatte allerdings dem FC in der 49. Minute einen klaren Elfmeter verweigert, wer weiß, wie das dann ausgegangen wäre; so gewann Freiburg denkbar knapp. Schaut man mal auf die wahre Tabelle, die um ungerechtfertigte Tore bereinigte Version des Tableaus, hätte Freiburg sieben Punkte weniger und wäre abgestiegen.
Wahrscheinlich würde Streich einem Schiedsrichter, der ihm das in einer unübersichtlichen Spielsituation auf seine Invektiven antwortet, direkt und ansatzlos den Kopf abbeißen. So isser nämlich! Da ist mal einer anders, echt und authentisch, da gehört das halt auch dazu.
Man wird von Christian Streich keine Objektivität verlangen können, natürlich nicht. Sein Ungestümsein, seine Dampflokartigkeit, das sind keine Marken-Accessoires, sondern so ischer halt, der Chrischdian. Seine Selbstgerechtigkeit, seine Unfähigkeit zu verlieren, das nickt man ab wie die seltsamen Ansichten über Erdbeermarmeladenproduktion der ansonsten zutiefst geliebten Großmutter.
Bewundert und verehrt
Denn zutiefst geliebt wird er ja. Und bewundert und verehrt. Und tatsächlich hat man in Streich einen, der auch einmal – Phrasentime! – über den Tellerrand guckt, der Meinungen hat zum Thema Menschlichkeit in Deutschland, er fordert Solidarität ein, er spricht darüber an der Universität. Leute in seiner Position nutzen ihre Prominenz nur dann politisch, wenn es darum geht, für Katar zu werben. Es gibt wenige, die sich dieser Verkommenheit widersetzen, und einer davon ist Christian Streich.
Ich habe viele Jahre Jugendmannschaften gepfiffen und bis zur C-Jugend stehen bisweilen ein Haufen Streichs am Spielfeldrand, die sich von Welt und Schiedsrichter maximal ungerecht behandelt fühlen. Ich habe dort diverse Wutausbrüche erleben dürfen, weil ich einen falschen Einwurf des Gegners nicht gepfiffen habe.
Mir hätte damals geholfen, wenn Christian Streich damals schon die Seitenlinie herumberserkert wäre; es hätte mir in Erinnerung gerufen, dass das blöde Arschloch mit der quietschroten Fresse privat vielleicht ein ganz hervorragendes Exemplar Mensch ist.
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