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Kolumne Helden der BewegungEin Baum, der zum Bus wird

Kolumne
von Frederic Valin

Es ist erstaunlich, mit welcher Behäbigkeit Simon Terodde vom VfB Stuttgart über den Platz tapert. Er ist eben auf die entscheidenden Momente fixiert.

Explosion auch mit Maske: Simon Terodde Foto: imago/Zink

E s gibt jene Spieler, die fallen im Fernsehen nicht weiter auf. Man braucht Großaufnahmen, um ihre Eigenheiten zu erkennen, oder man muss sie live gesehen haben. Das nivelliert das Fernsehen: dieses demokratische Körperverständnis des Fußballs, wo jede Statur potenziell Verwendung findet. Der Fußball kennt keine ideale Körpernorm, für fast jede Spielart gibt es Verwendung. Selbst ein Garrincha, der auf der einen Seite x-, auf der anderen Seite o-beinig geformt war, Höhenunterschied zwischen beiden Füßen sechs Zentimeter, den Rücken stark gekrümmt, konnte zu einem der besten Spieler aller Zeiten aufsteigen.

Und auch wenn diese Unterschiede durch die Anforderungen der Professionalisierung immer stärker verwischen, sieht man eine anderen Sportarten abgehende Fülle an Leibern.

Simon Terodde vom VfB Stuttgart zum Beispiel, Terodde ist ein Baum. Man ahnt es im Fernsehen, auf dem Platz aber sieht man es. Es ist erstaunlich, mit welcher Behäbigkeit er über den Platz tapert, mit seiner Statur, die an das Gesicht von US-Schauspieler Ron Perlman erinnert. Wenn man ihn auf die gegnerische Abwehr zulaufen sieht, mit der Dynamik eines bekifften Pandas, dann stellt sich auf den Rängen so etwas wie Gemütlichkeit ein. Ein Fall von Übertragung, denke ich, denn es macht den Eindruck, als würde Simon Terodde auf dem Feld ganz in sich ruhen, ganz eins sein mit sich selbst.

Diese Selbstgenügsamkeit ist Folge einer Stürmerkonzeption, die ich parasitär nennen würde. Er lebt mehr als andere Stürmer davon, gefüttert zu werden. Simon Terodde braucht keine Trainer, er braucht einen Schneider, der ihm die Mannschaft wie einen Anzug auf den Leib näht, einen Abendfrack, der es ihm ermöglicht, gut auszusehen. Das hat eine gewisse Konjunktur aktuell, Dortmund spielt mit Aubameyang einen Fußball, der ähnlich tickt, aber da ahnt man, warum das eine gute Idee sein könnte. Für ihn gilt, was Ibrahimović einmal zum Thema Carew gesagt hat: Was die mit dem Ball können, kann er mit einer Orange.

In die Situation katapultiert

Warum es eine gute Idee ist, Simon Terodde trotzdem da herumspazieren und -flanieren zu lassen, das erschließt sich erst ganz zum Schluss, wenn er den Ball aufs Tor bringt: Dann, Fußballsprech, explodiert er. Einer gespannten Feder gleich katapultiert er sich in die Situation und verändert sie zu seinen Gunsten. Es wird eine Gedankenschnelle sichtbar, die darum überrascht, weil sie Teroddes Körper gegen jede Wahrscheinlichkeit nicht überfordert.

Es existieren kaum Videozusammenschnitte von Terodde-Toren, man muss sich behelfen. Glücklicherweise gibt es einen wohldokumentierten Vorfall in der deutschen Geschichte, der als Platzhalter dient, weil er Terodde-Tore geradezu versinnbildlicht: Es ist der Eierwurf auf Helmut Kohl 1991 zu Halle. Kaum wurde Kohl des Eierregens gewahr, der auf ihn einprasselte, suchte er sich eine Lücke, um den Sicherheitsbeamten zu entwischen, und schritt dann behände auf sein Ziel zu, so schnell und zielgerichtet, dass es lange Sekunden brauchte, bis ihn seine Entourage eingeholt hatte. Da hat er schon einen der Demonstranten am Wickel, und keiner wusste, wie das denn nun passieren konnte.

So sind auch Teroddes Tore. Man mag das prosaisch finden, diese Fixierung auf die wenigen Momente, das Pragmatische an Simon Terodde, der halt eben dann seine Tore macht, die man unglücklicherweise braucht für dieses ansonsten so sinnlos schöne Spiel. Jean Eskanzi, französischer Journalist, stellte angesichts der Tretereien während der WM 1934 die alte Frage nach Effizienz und Kunst: „Wie wollen wir Fußball spielen? Als ob wir Liebe machten oder als ob wir den Bus kriegen wollten?“ Das ist eine Frage, die bei Simon Terodde leicht zu beantworten ist: Er ist der Bus.

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