Kolumne Habseligkeiten: Uhren! Überall Uhren!
Vorweihnachtshorror: Schauen Sie in keine Zeitschrift, es steht sowieso nichts Gescheites drin.
V or ein paar Tagen ging ich friedlich die Dorotheenstraße in Berlin entlang. Studenten schoben ihre Räder aus der Uni, alles war geschäftig und die Luft ein wenig trübe vom Herbstwetter. Alles deutete darauf hin, dass der Winter käme, da sah ich ihn: den Weihnachtsmann in seiner roten Robe. Meinen ersten in diesem Jahr. Er stand auf der Straße, und ich glaube, er verteilte irgendwelchen Gratiskrimskrams vor der Mensa. "Es fängt wieder an", dachte ich und suchte zu Hause gleich im Stapel unbeachteter Zeitschriften nach weiteren Hinweisen auf das Fest der Liebe.
Tatsächlich lag dort die von uns abonnierte Architekturzeitschrift. Von vorn sah sie ganz normal aus, aber wenn man sie umdrehte, stand in goldener, schön festlicher Schrift geschrieben: "Schmuck & Uhren.". In diesem Moment ging mir auf: Es hat schon längst begonnen.
Wirklich ernst wird es mit der Vorweihnachtszeit, wenn Magazine, die sonst vornehmlich Lavazza-Werbung machen, anfangen, in aufwändig produzierten Fotostrecken teure Uhren vorzustellen unter dem Schlagwort angeblicher Trends. All die schönen Seiten, auf denen interessante Geschichten stehen könnten, zeigen plötzlich alle nur noch Ziffernblätter. Furchtbar!
Natalie Tenberg ist Redakteurin im taz-Ressort "Gesellschaft, Kultur & Medien".
Meinetwegen könnnen Rewe, Edeka und Netto ganzjährig Dominosteine verkaufen, ich selbst mag Spekulatius auch im Sommer, und ich könnte zu jeder Saison die kleinen Ohren von Schokoladenosterhasen anknabbern. Ich bitte nur darum, von diesen unsäglichen Uhrenspecials abzusehen.
Nicht dass ich etwas gegen Luxusuhren hätte. Es soll sich jeder gerne bei seinem Juwelier mit den zukünftigen Erbstücken eindecken, die er gerne hätte. Aber mich nervt und ärgert es jedes Jahr wieder, dass diese Uhrenwerbung so tut, als wäre sie Inhalt, für die es sich zu zahlen lohnt.
Oder interessiert sich wirklich jemand für die abstrusen zwei, drei Sätze, die um die Breitling Galactic 36 Damen Automatik für 7.020 Euro gebastelt werden, die nebenbei bemerkt ganz schön prollig aussieht? Für wen wurde der Satz geschrieben, dass die Grande Reverso Duo von Jaeger-LeCoultre ursprünglich für Polospieler entwickelt wurde? Für die Einwohner von Sotogrande in Südspanien, die ja angeblich diesem Sport fröhnen? Wer verschenkt überhaupt solche Uhren zu einem gewöhnlichen Weihnachtsfest anstatt zur Konfirmation (oder Ähnlichem)?
Nun gut, die Uhrenpräsentatoren sind meistens Magazine, die sich an ein älteres Publikum richtet, das sich sowieso für Dinge interessiert, die gemeinhin als "schön" gelten, Eames-Stühle, Wagenfeld-Leuchten, Breuer-Freischwinger und Eileen-Grey-Liegen. Leute, die jederzeit gegen die Kommerzialisierung von Weihnachten sind, gegen Halloween und die ihre festliche Dekoration eher bei Manufaktum als bei Nanu-nana kaufen.
Warum begehren diese Leser nicht auf gegen diese Fotostrecken, sondern beschweren sich lang und breit über September-Lebkuchen bei Rewe, obwohl die wenigstens lecker schmecken? Dieses Verhalten ist mir ein Rätsel. Eins, das immer wiederkehrt. Darauf trinke ich nun rasch einen Lavazza-Kaffee.
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