Kolumne Habibitus: Freche Almans & The City
Warum werden Durchschnittsdeutsche beim Anstehen eigentlich immer zu solchen Haywans? Da helfen nur noch Kopfhörer.
I n der Servicewüste Deutschland mangelt es an einigen Dingen. Ich spreche nicht von gut gewürztem Essen oder ästhetischer Funktionskleidung, sondern von der kollektiven Möglichkeit, Aggressionen abzubauen. Vielleicht sollten sich mehr Fight Clubs etablieren.
Nach dem Feierabend oder nur so zwischendurch mit einem Handtuch und bequemer Kleidung ein Etablissement wie einen Sportverein betreten, in dem sich alle einvernehmlich die Fresse polieren und danach mit einem Glühen auf den Wangen nach Hause fahren.
Hauptsache, die Leute – und damit meine ich besonders Durchschnittsalmans wie Dörte und Wolfgang – können die Luft rauslassen und tiefenentspannt in ihren Alltag, das Wohnzimmer mit Eckgarnitur im spießigen Reihenhaus, zurückkehren. Denn das Bedürfnis aufzumucken, ist definitiv da, und es zeigt sich vor allem an einem Ort: der Schlange zum Service.
Die Schlange verwandelt sich in einen metaphysischen Raum mit verschwommenen Regeln. Aus dem diplomatischen Dieter und der gewaltfrei kommunizierenden Gisela werden wahre Haywans, wie man sie sonst nur von All-you-can-eat-Buffets und vom Einstiegsbereich öffentlicher Verkehrsmittel kennt.
Gemeinsames Feindbild
Keine Lüge ist ihnen zu schade, um möglichst früh dran zu kommen. Kein Kommentar über andere Menschen zu unangebracht, um mit anderen Fremden zu bonden und ein kollektives Wir zu konstruieren, das gemeinsam gegen ein Feindbild wettert.
Mal ist es die Person, dessen Geschlecht nicht eindeutig zugeordnet werden kann – aber ganz ehrlich, wann kann man das schon wirklich? –, mal die langsame Taschenpackerin, mal die Person, die nicht fließend Deutsch spricht und deshalb Dinge nachfragen muss.
Würden sie wenigstens intervenieren, weil sie jemand diskriminierend verhält: okay. Aber nein: Die Schlange verwandelt sich in einen mit harten Gefühlen aufgeladenen Käfig, in dem alles – vor allem sich Einmischen – kann und nichts – besonders nicht Respekt – muss.
Gestern ging ich mit Kopfhörern auf den Ohren in den Drogeriemarkt. An harten Tagen wie diesen hilft mir die musikalische Beschallung dabei, stressige Orte wie Geschäfte auszuhalten. An der Kasse spürte ich schon, wie die Uschi hinter mir ungeduldig wie ein gedoptes Pferd vor einem Pferderennen hinter mir hin und her trabte. Und das, obwohl ich meine Kopfhörer trug.
Ich atmete durch
Als ich die Kassiererin bat, einen Satz zu wiederholen, weil ich ihn nicht verstanden hatte, hörte ich ihren zynischen Kommentar schon wie dieses eklige Wasser, das manchmal aus Ketchupflaschen kommt, losspritzen: „Sind wir hier etwa im Baumarkt, dass man Kopfhörer für den Lärmschutz braucht?“
Ich atmete durch, zitterte etwas, sprach nicht. Mein Energielevel war niedrig, sonst hätte ich mich zu ihr umgedreht und gesagt, dass Pissnelken wie sie der Grund dafür sind, warum ich meine Kopfhörer am liebsten nie abnehmen würde.
Oder ich hätte eine Freundin von meiner Mutter zitiert, die mal sagte: „Wenn du nichts zu sagen hast, aber deine Zunge in Bewegung halten musst, dann kau ein Kaugummi.“
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