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Kolumne Gott und die WeltDer Best-Buy Bachelor

Kolumne
von Micha Brumlik

Bildung als Ware: Die Investitionen in ein Studium an US-Universitäten sind immens. Aber sie können sich lohnen. Ein Besuch in Dartmouth.

Im Indian Summer besonders schön: Das Dartmouth College. Bild: Kane5187

W ilhelm von Humboldt sah in der Bildung eines Menschen die „proportionierliche, allseitige Entfaltung seiner Fähigkeiten, Friedrich Schiller spekulierte in seinen „Briefen zur ästhetischen Erziehung“ über einen „ästhetischen Staat“ – fern der Maschinerie des Absolutismus.

Goethe schließlich erdachte sich im „Wilhelm Meister“ eine „pädagogische Provinz“. Derlei an einer deutschen Universität zu suchen, ist müßig, es dort zu finden, unmöglich.

Indes: In den USA scheint derlei nicht nur möglich, sondern wirklich zu sein. Etwa am Dartmouth College in Hanover, New Hampshire, wo der Autor dieser Zeilen in diesem Sommer das Vergnügen hatte zu lehren.

Hanover: Eine idyllische Kleinstadt mit ziegelroten Häusern entlang täglich penibel gekehrter Straßen, mit überwältigenden Grünflächen, rücksichtsvollen Autofahrern und Studierenden, deren Dresscode im Sommer darin besteht, Sportkleidung zu tragen: die jungen Herren meist knielange Shorts sowie Baseballmützen, den Schirm gerne in den Nacken gekehrt, die jungen Damen – wie ihre Kommilitonen – stets rucksackbeladen in Shorts.

Das Niveau, auf dem diese sehr jungen Studierenden schwierigste Texte debattieren und in ihren midterm papers reflektieren, ist hoch, ihr aufmerksames Interesse ohne jede Heuchelei, die Lehr- und Lernatmosphäre trotz erheblicher Arbeitsbelastung erstaunlich entspannt.

Artes liberales

Seminare von der Größe, wie sie in Dartmouth stattfinden – vier in einer kleinen beziehungsweise sechzehn Studierende in einer „großen“ Veranstaltung –, waren an deutschen Universitäten zuletzt in den 1970er Jahren, vornehmlich in Tutorien, zu erleben. Die Studierenden selbst sind im Schnitt ein bis eineinhalb Jahre jünger als in Deutschland – vieles erinnert an einen Oberstufenkurs.

Derartige „Liberal Arts Colleges“ stehen in der Tradition der mittelalterlichen Universität mit ihren „Artes liberales“ , die als Vorbereitung für ein Studium der Theologie, Juristerei oder Medizin galten: unter anderem Dialektik, Astronomie, Musik.

Allgemeinbildung als Voraussetzung für professionelle Kompetenz? Bildung als Selbstzweck? Ist der deutsche Bildungsgedanke in den USA institutionelle Wirklichkeit, gleichsam eine hegelsche Wahrheit geworden? Eher nicht! Wirft man einen Blick in die 2013 erschienene Ausgabe eines Handbuchs mit dem Titel „The Best Value Colleges. The 150 Best-Buy Schools“, so entpuppt sich der Besuch eines Colleges als eine nicht gerade unerhebliche Investition in Status und Karriere.

Dartmouth College etwa nimmt nur 10 Prozent der Bewerber an, die jährliche Gebühr – das Studium zum Bachelor dauert dort vier Jahre – beträgt 43.782 Dollar, worin die Kosten für Wohnen in Höhe von 12.954 Dollar ebenso wenig eingeschlossen sind wie „sonstige“ Kosten in Höhe von weiteren etwa 3.000 Dollar.

Das Handbuch führt zudem genau auf, wie hoch die durchschnittliche Verschuldung jener ist, deren Eltern das College nicht bezahlen können: 17.113 Dollar. Gleichwohl: Die Investition zahlt sich aus: eine kürzlich erschienene Studie berichtet, dass 54 Prozent des Führungspersonals der USA und 42 Prozent der höheren Regierungsbeamten aus gerade einmal zwölf privaten Colleges und Universitäten kommen.

Bildung nur als soziale Differenziertheit?

Personen mit Collegeabschluss leben zudem länger, rauchen weniger, weisen kein Übergewicht auf und neigen in geringerem Ausmaß zu Depressionen. Vor allem verfügen sie später über ein höheres Einkommen und sind der Demokratie verpflichtet: Collegeabsolventen gehen eher zur Wahl als Personen, die einen normalen Schulabschluss aufweisen.

Bildung als Ware, Investition und doch auch als persönlichkeitsentfaltender Selbstzweck: Muss man also Adorno recht geben, der in seiner „Theorie der Halbbildung“ 1959 mit Blick auf die USA konstatierte: „Während die ursprünglich sozialen Differenzierungsmomente kassiert werden, in denen Bildung bestand – Bildung und Differenziertheit sind eigentlich dasselbe –, gedeiht an ihrer Stelle ein Surrogat. Die perennierende Statusgesellschaft saugt die Reste von Bildung auf und verwandelt sie in Embleme des Status.“

Wirklich? Insgesamt mag es zwar eine „Theorie der „Halbbildung“ sein, die er verfasste, indes: alle Bildung auf „soziale Differenziertheit“ zu reduzieren, dürfte ihr nicht gerecht werden. „Theorie der Halbbildung“ wurde 1959 publiziert, der ebenfalls in Frankfurt lehrende Heinz Joachim Heydorn antwortete ihm 1968 mit der lesenswerten Schrift „Über den Widerspruch von Bildung und Herrschaft“.

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Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“
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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • K
    kritiker

    Die paar StudentInnen repräsentieren aber nicht das gesamte Volk.

    Die Lehrkräfte

    sollen wirklich ihr Bestes geben, um eine zukunftsfähige

    Generation voranzubringen mit

    den objektiv besten Methoden arbeiten und dabei übertreffbar sein. Die Freiheit und Fairness

    geht vor.

    Die Macht geht vom Volke aus

    und wenn das Volk über eine

    erodierende Kultur verfügt oder tief gespalten ist, können das auch ein paar Elitehochschulen nicht wettmachen. Dann wird die Einwanderungsquote erhöht und die Untergebutterten verdrängt.

    Die Schwarze Musik des Gospel/Rockn'Roll/Motown sollte ein Aufbruch in eine höhere Kultur darstellen, wurde aber durch die Drogenschwemmen und Rap teilweise heruntergerissen.

    Teilhabe an Demokratie, Gesundheit uvm. entsteht durch

    Selbstwertgefühl, Selbstbestimmung, Freiheit, Unabhängigkeit, Bildung, Erfolg,

    positive Umweltresonanz, mentale Fitness und Gesundheit,

    positive Erfahrungswelten, Selbstliebe. Wer daran die Axt

    anlegt, zerstört im Menschen

    ihre Ich-Wert-Reflexion und damit den Menschen. Es ist die vollwertige Integration in eine gesunde Subkultur in einer intakten

    Subwirklichkeitssphäre und nicht das faktenspezifische Wissen, was

    die Menschen zu demokratisch fähigen Menschen heranreifen läßt!

  • K
    kritiker

    Was für ein Witz?

    12 Hochschulen(Colleges und Universitäten) der USA sollen also

    Vermittler höhster Bildung sein

    und dabei die Demokratie hoch halten. Wieviele Bürger der USA dürfen denn dort studieren?

    Warum werden die Konzepte dann

    nicht auf neue Hochschulen erweitert? Warum werden deren

    Standards nicht zum allgemeinen

    Standard perspektivisch erhoben?

    Bei der straffen sozialen und

    leistungsmäßigen Vorselektion

    kann die Hochschule sich den Erfolg der AbsolventInnen nicht

    einzig auf die Hochschule zurückführen. Auf die schiefe Bahn kämen die Aufgenommenen

    seltener als der Durchschnitt

    der Bevölkerung.

    Demokratie wird von der MEHRHEIT

    der Menschen gelebt. Die Macht geht vom Volke aus.

    Durch das Geld wird eine Autonomie erkauft, in der ein

    leistungsorientiertes, behütetes

    und annähernd faires Arbeiten möglich ist. Würde die Gesellschaft ohne neue Geldschranken Systeme mit höherer Sozialkultur und praktischen Entfaltungsmöglichkeiten

    entwerfen, könnten diese "Minibiotope" leichter expandiert werden. Dann könnten wirklich mündige und glückliche Völker heranreifen.

  • R
    ridicule

    Und damit zu -

     

    Wilhelm von Humboldt,

    und Bildung in Geld seine Welt.

    Schade - erfahren wir am Ende doch nicht,

    was und wie Heydorn dem zu Tode Adornieren widerspricht.

  • F
    Fritz

    Tja und wenn ich als deutscher junger Mensch eine vergleichbare Studiensituation haben möchte? Muss ich in die USA gehen? Ist die Lehre für Deutschland, dass das Bildungssystem hier privatisiert werden muss, wenn wir Qualität haben wollen?