Kolumne Globetrotter: Auf der Stelle treten
Unsere Autorin stört es nicht, wenn andere ihre sportliche Leidenschaft lächerlich finden. Dafür bietet Aquafitness Flashdance-Momente.
A uf meiner Eintrittskarte zum Schwimmbad steht groß gedruckt das Datum des Tages: 08.03.16. Da fällt mir auf, dass ich dieses Jahr, nach langer Pause, ausgerechnet am Internationalen Frauentag wieder zum Aquafitness antrete.
Obwohl die Kurse für alle offen sind, so werden sie doch fast ausschließlich von Frauen besucht. Spontan würden viele denken: Sport, der Kampfgeist, Mut oder Selbstbewusstsein kultiviert, sieht anders aus – eher wie Karate, Fallschirmspringen oder Roller Derby.
„Zu lahm, zu öde, zu peinlich“, wimmelte mich auch meine Freundin M. ab, als ich ihr meine Leidenschaft für Aquagymnastik beichte. Joggen auf der Stelle, zumal im Wasser und mit Schaumstoffgürtel um die Taille, sehe einfach zu lächerlich aus. Okay. Als sich beispielsweise meine Aquafitness-Gruppe einmal das Becken mit einem Kindergartenschwimmkurs teilten musste, fielen mir plötzlich die Eltern auf, die sich hinter der verglasten Tür versammelt hatten. Statt auf ihre Sprösslinge waren ihre Blicke auf uns gerichtet. Und sie weinten nicht vor Rührung, sondern vor Lachen.
Was viele aber nicht wissen: Kurzweilige 45 Minuten Aquafitness entsprechen in etwa zwei Stunden Leistungssport auf hartem, trittfestem, unbarmherzigem Boden. Eben wegen der sanften Wassermassen, die man mitbewegen muss – was gerne mit übergestülpten Frosch-Handschuhen zusätzlich erschwert wird, um durch den Textilaufsatz zwischen den Fingern den Widerstand zu erhöhen.
Wir joggen jedenfalls ambitioniert auf der Stelle oder wir geben Vollgas – wie Jennifer Beals auf der Tanzfläche. Aquafitness gewährt viele ungeahnte „Flashdance“-Momente. Dabei ist es egal, ob man mit Wut im Bauch auf die Wassermassen einboxt, fröhlich die den Kurs untermalenden Motown-Hits mitsingt oder – wie meine jetzige Nachbarin – einfach hirntot vor sich hin treibt. Das entscheidet jeder für sich, wie weit er gehen will oder kann. Im Wasser sind wir alle gleich.
Unsere LehrerInnen sind auch immer super nett. Sie machen Komplimente. So etwas kenne ich vom Sport sonst gar nicht. In der sechsten Klasse schrie mich Herr F. wütend an, der Speer sei keine Blume! „Eine hübsche Vorhand hast du, aber wir spielen hier kein Tennis, sondern Badminton“, meckerte mich D. im Abi-Jahr an. Und nach meinem ersten Basketball-Spiel meinte mein eigener Vater: „Ich hab’ nicht ganz verstanden, zu welchem Team du gehörst.“
Scheiße, ich liebe Aquafitness
„Ja wohl! Perfekt!“, wird man hier angespornt. „Hey, cool, das ist doch nicht das erste Mal, dass du Aquafitness machst, oder?“, fragte mich sogar einmal freudig die Leiterin eines Kurses. „Das sieht man sofort!“, nickte sie anerkennend zu. „Ach, ich bin einfach gern im Wasser“, rechtfertigte ich mich eingeschüchtert von dem ungewohnten Zuspruch. „Auch das sieht man“, bekräftigte sie noch mal. Scheiße, ich liebe Aquafitness.
Und heute, nach sechs Monaten Pause, bin ich endlich wieder voll dabei! Als sich meine Nachbarin schnaufend am Beckenrand festhält, um am Rande ihrer Kräfte kurz vor Schluss schnell in die Dusche zu entweichen, überkommt mich plötzlich ein hässlicher Gedanke: „Du Nulpe, hast dich nicht mal richtig angestrengt!“
Dankenswerterweise holt mich die Lehrerin wieder in das harmonische Nass zurück, als sie Schwimmnudeln für die nächste Übung verteilt. Aquafitness ist auch eine Schule der Demut. Über die „Nudel“, einen etwa anderthalb Meter langen Schlauch aus flexiblem Schaumstoff, sollen wir uns nun rittlings aufsatteln, die Extremität vor uns mit beiden Händen packend, die Arme ausstreckend, die Nudel rhythmisch nach rechts und links schwenkend, und dabei hintereinander weg durch das Becken trudeln.
Im Grunde wedeln wir uns im Kreis mit überdimensionierten Plastikschwänzen zu. Alle sind todernst bei der Sache – bis auf den einzigen jungen Mann im Kurs, der rot angelaufen vor sich hin kichert. So hätte ich mir den Weltfrauentag im Traum nicht vorgestellt.
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