Kolumne Geschöpfe: Die Rechristianisierung der Herzen
Um mich herum wird wieder nach Kräften geglaubt, und ich kann es beim besten Willen einfach nicht fassen
Arno Frank (36) ist taz-Redakteur. Er kann lesen und schreiben. In seiner Freizeit spielt er gerne Flipper, hört schlechte Musik, schaut sich gute Pornos an und raucht. Selbstgedreht, versteht sich.
In Berlin wird gerade ein Hindu-Tempel gebaut. Na ja, genau genommen ist da nur ein verwildertes Grundstück, auf dem ein Schild ankündigt, hier würde demnächst ein Hindu-Tempel gebaut. Gegenwärtig, hört man, wird wohl noch Geld gesammelt für den Tempel. Und wenn es dann mal da ist, das Geld, dann wird er gebaut, der Tempel.
Daran erinnerte ich mich, als ich neulich mit Martina, einer befreundeten Architektin telefonierte. Sie hatte gerade ein Kind auf die Welt gebracht und wochenlang so getan, als wäre sie das erste Säugetier auf Erden, dem dieses biologische Wunder geglückt ist. Nun, da ihre Begeisterung über die eigene Reproduktionsleistung ein wenig abgeflaut war, rückten andere Themen in den Vordergrund: "Es wäre nett, wenn du zur Taufe kommen könntest", sagte sie, "wir rechnen fest mit dir!"
Ich kannte und schätzte diese Freundin seit 15 Jahren. Wir hatten uns bei Parties betrunken und bekifft, auf synthetischen Drogen wilde Konzerte besucht und Stunden mit Gesprächen über ihre gefährlichen Liebschaften um die Ohren die geschlagen, ohne dass ich von ihr jemals auch nur ein Sterbenswörtchen über irgendwelche Religionen gehört hätte.
Und nun plötzlich rechnete sie. Mit mir. Zur Taufe.
Das konnte nur ein Witz sein: "Das kann nur ein Witz sein", sagte ich zu ihr, "das ist doch nicht dein Ernst! Hallo?"
"Aber sicher", versetzte sie heiter, "deshalb bin ich ja auch wieder in die Kirche eingetreten."
Ich war baff. Schon seit geraumer Zeit war mir die schleichende Rechristianisierung ursprünglich vernunftbegabter Menschen aus meinem Umfeld aufgefallen: Leute, die früher Kirchen nicht einmal für ihre gute Akustik schätzen mochten, auch nicht zur Weihnachtszeit, die schleppten nun ihren eigenen Nachwuchs in Kindergottesdienste, weil "da immer so schön gesungen" werde und das "der Antonia so viel Freude" mache, rabimmel, rabammel, rabumm. Leute, die keinen Schimmer von der Dreifaltigkeit und nie auch nur eine einzige spirituelle Frage an das Leben hatten, platzten plötzlich vor stolz, wenn ihre Kleinsten zum Vaterunser die Händchen falteten. Leute, die große Stücke auf ihre eigene geistige Beweglichkeit und Freiheit hielten, zogen nun freiwillig den Jägerzaun der Gläubischkeit um die Seelen ihrer Kinder. Fuck!
"Wie kommts?", fragte ich Martina, noch immer ungläubig: "Hattest du denn ein Erweckungserlebnis oder was?"
"Quatsch! Es ist nur, weil Thomas und ich doch noch einmal heiraten wollen, diesmal kirchlich, mit allem Pipapo." Pipapo?
Fast hörte ich sie lächeln, als sie mir geduldig erklärte: "Na ja, du weißt schon: mit einem schönen Kleid, mit einer schönen Rede vom Pastor, Orgelmusik "
"Du meinst das Brimborium!"
"Nein, ich meine das Pipapo, du Arsch. Was soll denn das auf einmal? Du bist es doch, der sich immer so für Gott interessiert!"
"Eben."
"Dann solltest du doch verstehen, dass ich möchte, dass Karla anständig in die Gemeinschaft aufgenommen wird."
"In welche Gemeinschaft? Geht das auch unanständig? Und was meint Karla? Will die das?"
Martina holte tief Luft: "Ich will nicht, dass Karla eines Tages Kopftuch trägt. Ich will, dass sie in die Gemeinschaft der Christenheit aufgenommen wird", erklärte sie frostig: "Ich will, dass Karla Werte vermittelt bekommt. Nächstenliebe, Ehrfurcht vor dem Leben, solche Sachen "
Langsam, so gaaanz langsam fühlte ich mich ein wenig ungehalten werden: "Das sind universelle Werte! Das hat mit Religion nichts zu tun!" - "Aber mit der Gesellschaft, in der wir leben", beharrte Martina betont tonlos, "mit unserem Kulturkreis."
"Selbst wenn es so wäre", brüllte ich: "Was soll dieses verlogene neobürgerliche Kasperlethater? Warum willst du die Vermittlung deiner tollen Werte outsourcen? An katholische Klemmschwuchteln in Frauenkleidern? Ich fass es nicht!" Jetzt war ich ungehalten. Zum Glück hatte Martina rechtzeitig aufgelegt. Ich wischte mir den Schaum vom Mund und dachte: In Berlin, da wird gerade ein Hindu-Tempel gebaut.
Hoffentlich ist er bald fertig.
Fragen an Gott? kolumne@taz.de Morgen: Martin Reichert über LANDMÄNNER
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