Kolumne Gerüchte: Die im "Hund" die Knie beugt
Was tun, wenn man in allen Gruppen plötzlich die Älteste ist? Locker bleiben und atmen, atmen, atmen.
Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz.
Neulich gab mir mein Bekannter Jo so einen typischen Hinweis: "Maxxim, Joachimsthaler Straße, Dienstagabend machen die eine After-Work-Party, die Musik ist tanzbar, und da sind auch Ältere, Leute über 40, ich glaube, sogar 50-Jährige." Ältere!
Das ist das Codewort. Nichts ist gefragter bei Menschen in der zweiten Lebenshälfte als Orte, wo man lustige Dinge erleben kann, wenigstens ab und zu ein paar Gleichaltrige zu sehen kriegt und es sich nicht um eine Grillparty, einen Standardtanzkurs oder ein Wellnesshotel mit Ayurveda-Massagen handelt.
Ins "Maxxim" habe ich es aber noch nicht geschafft. Ich geh ja jetzt öfter zum Yoga.
"Atmen, atmen, atmen", sagt Ute, "lasst euer Ego los". Ich stehe auf der Yogamatte im Studio in Kreuzberg. Wenn man nach oben schaut, guckt man durchs Dachfenster in den Himmel und sieht die Wolken ziehen. Beim Blick in die Runde fällt mir auf, dass ich heute mal wieder mit Abstand die Älteste bin.
Es fing damals an, in diesem Kletterkurs für fortgeschrittene Anfänger, der wirklich leicht zu machen war für Leute auch um die 45, 50. Ich hatte den Kurs im Internet gebucht und zog wenig später mit vier Geografiestudenten, geschätzte 28 Jahre alt, durchs Elbsandsteingebirge. Die Leute waren wirklich nett, mir fiel nur auf, dass ich besonders oft gelobt wurde, da ich an der Wand "doch wirklich flott" heraufgeklettert sei.
Damals musste ich an den Roman "Fegefeuer der Eitelkeiten" von Tom Wolfe denken, in dem die 50-jährige Hauptfigur, von ihrem Ehemann verlassen, in ein Fitnessstudio eincheckt. Sie findet sich mit lauter 30-Jährigen wieder, die in Leggings vor ihr herumhopsen. Während einer Aerobic-Übung erleidet sie einen Kreislaufkollaps. So möchte man nicht im Mittelpunkt stehen.
"Kinderposition", sagt Ute. Alle sinken auf die Matte hernieder. Die "Kinderposition" ist eine angenehme Stellung, man kauert sozusagen auf der Matte nieder, rollt sich ein bisschen ein und darf mal klein sein. Die ließen es sich schon auch gut gehen, die Yogis. Vor mir kauern lauter schlanke Gazellen auf dem Boden. Das hat auch was Schönes. Aber "age diversity" sieht anders aus.
"Krankenkasse", hat meine Freundin Theresa gesagt, "buch doch einfach einen Yogakurs über die Krankenkasse. Da sind auch Ältere, garantiert." Krankenkasse! Klingt nach Leuten mit weißen Socken und Schlappen. Ich finde das Studio hier aber schön. Und die Leute können ja nichts dafür, dass nicht noch mehr Frauen auftauchen, die auch lieber weite Trainingshosen und flattrige T-Shirts tragen als knallenge Sporttops mit Spaghettiträgern. Männer mit Wampe und Stirnglatze kommen leider noch seltener in Yogaschulen. Schade, ich würde garantiert mein breitestes Lächeln herüberbeamen, man wird ja sehr großzügig mit den Jahren.
"Einatmen, Ausfallschritt rechts nach hinten", sagt Ute. Ausfallschritt klappt bei mir inzwischen ganz gut, wichtig ist, dass man das Gleichgewicht über den Knien halten kann. "Atmen" mahnt Ute, "seid einfach hier". Bin ich ja.
"Die Älteste?", hatte meine Bekannte S. neulich gesagt und gegrinst, "ich bin die Jüngste." In ihrer Feldenkrais-Gruppe in Charlottenburg ist sie mit ihren 50 Jahren das Küken, was sie auch genießt. 60-, 70-Jährige, sogar eine 80-jährige Frau machen dort in Jeanshemden und weiten Baumwollhosen diese kleinen, gelenkschonenden Bewegungen. Die meisten hätten aufregende Schicksale hinter sich, sagt S. Sie ist übrigens entschlossen, im Rentenalter "endlich wieder ein Hippieleben" zu führen.
"Wir gehen jetzt in den Hund", kündigt Ute an. Der Hund ist wie eine Art Liegestütz, bei dem man den Hintern nach oben und hinten streckt. Dabei soll der Rücken ganz lang sein, die Beine möglichst durchgedrückt und die Fersen am Boden. So jedenfalls sieht es auf den Fotos in den Yogabüchern aus. Und bei meinen Sportskameradinnen auch. Bei mir nicht. Ich beuge die Knie. Andernfalls wird mein Rücken zu rund in dieser Position. Ich bin die Einzige, die das tut. "Findet euren eigenen, persönlichen Hund", sagt Ute. Genau.
Fragen zum "Hund"? kolumne@taz.de Dienstag: Adrienne Woltersdorf ist OVERSEAS
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