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Kolumne GeräuscheDer Sound der andern

Ambros Waibel
Kolumne
von Ambros Waibel

Wer nicht hinhört, lebt besser: Das wusste schon Balthasar Gracian in seinem Handorakel.

D unkel ist es, wenn die Eltern in der Küche streiten, man hört jedes Wort und versteht doch nichts. Worum geht es? Geht es um mich? Bin ich schuld? Was habe ich getan? Und was werden die Konsequenzen sein? Wird man mich aussetzen? Oder werden sich die Eltern trennen, weil ich so böse bin?

An solche zur Erstarrung im Stockbett führenden Grübeleien erinnere ich mich sehr gut; aber es ist eine entspannte Erinnerung. Über das Unbewältigte, weil zum Zeitpunkt des Erfahrens nicht Einzuordnende, der Kindheit zu reflektieren, habe ich mir zwanzig Jahre Zeit gelassen, habe es weggelebt und auch mal weggetrunken, ein Buch darüber geschrieben und dann schließlich - entscheidendes Detail - zwei eigenen Kindern auf die Welt geholfen.

Ich kürze ab: Ich bin ein glücklicher Mensch über 40 geworden - was nicht bedeutet, dass ich immer glücklich wäre, da würde ich ja unglücklich dabei werden. Aber mit 18 hätte ich eine solche Entwicklung nie für möglich gehalten. Meine Mutter bestätigte mir das kürzlich am Telefon, indem sie gewohnt nonchalant kurz vor dem Einhängen anmerkte, dass "ich und dein Vater das gar nicht erwartet hätten, dass du noch mal die Kurve kriegst". Und ich, wäre ich gewitzter, hätte natürlich antworten müssen: "Das hätte ich auch nie erwartet, dass ihr noch mal die Kurve kriegt!"

Bild: Alexander Janetzko
AMBROS WAIBEL

ist Redakteur im taz-Ressort Gesellschaft, Kultur und Medien.

Wenn zwei sich streiten, bin ich jedenfalls weder der eingebildete Betroffene noch der lachende Dritte - Häme ist mir fremd. Ich bin schlicht derjenige, der das einzige Lebenshilfebuch, das sich zu lesen (kurzer Schwenk zur Buchmesse) lohnt, ernst nimmt: "Sich zu entziehen wissen" ist dort der Paragraf 33 überschrieben und führt dann aus: "Wenn eine große Lebensregel die ist, daß man zu verweigern verstehe; so folgt, daß es eine noch wichtigere ist, daß man sich selbst, sowohl den Geschäften als den Personen, zu verweigern wisse. Es giebt fremdartige Beschäftigungen, welche die Motten der kostbaren Zeit sind. Sich mit etwas Ungehörigem beschäftigen, ist schlimmer als Nichtstun."

"Die Motten der kostbaren Zeit" - ist das nicht toll? Vorausgesetzt natürlich, man schätzt die eigene Zeit als kostbar ein; aber auch das muss man eben lernen. Arthur Schopenhauer nahm es gleichgültig hin, dass seine hier zitierte Übersetzung von Balthasar Gracians "Oráculo manual y arte de prudencia" zu Lebzeiten nicht an die Leser zu bringen war: "Lassen Sie den Stoß Papier in irgendeinem Winkel ihres Hauses rasten. Weder Gracian noch ich verlieren dadurch ihr Verdienst", schrieb er dem Verleger F. A. Brockhaus. Erscheinen konnte die Übertragung dann erst posthum 1862.

Genug bildungsgehubert, hier ging es um Geräusche, um unangenehme. Die aus Räumen und Mündern, über die wir nicht bestimmen, in unsere Ohren dringen, welche sich - da geht noch was, Evolution - nicht natürlich wie die Augen verschließen lassen. Sirenengesänge des Klatsches, der Gerüchte und der unerzogenen Gefühle.

Text: If you mind your own business, then you wont be mindin mine (Hank Williams).

Musik: Radetzky-Marsch (Johann Strauss, Vater).

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

3 Kommentare

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  • HH
    Happy Hour

    Das Glück steht Ihnen ja wirklich ins Gesicht geschrieben. Aber vielleicht ist Glück ja schon, wenn Muttern endlich zufrieden ist.

  • AW
    ambros waibel

    liebe "anke",

     

    danke für den schönen kommentar.

     

    ich will nur auf einen aspekt eingehen: von mir wird kein leser oder abonnent "aggressiv umworben", es gilt die trennung von redaktion und verlag (falls die taz gemeint war).

     

    und da Sie ja offensichtlich auch die taz lesen und mir damit mein auskommen sichern, kann ich doch weiter versuchen, das in worte zu bringen, was mir wahr oder zumindest des Nachdenkens wert erscheint.

     

    grüße!

    ambros waibel

  • A
    anke

    Ich denke, ich kann Ihnen folgen, Herr Waibel. Was unterscheidet den Dreijährigen, der, schlaflos im Stockbett, den Eltern beim Streiten zuhört, vom lebensklugen Mittvierziger? Ganz einfach: die Erfahrung. Der Mittvierziger weiß (oder glaubt doch wenigstens, es zu wissen), wann er hin- und wann er weghören sollte. Er kann Situationen in der Regel einordnen, weil er bereits "Schubkästen" hat im selbstgezimmerten Küchenschrank seines Lebens. Das macht ihn zwar nicht unfehlbar, aber doch in gewissem Grad gelassen. Es sei denn, er glaubt, ernsthaften Grund zur Sorge zu haben.

     

    Wer schon einmal ein krankes Kind hatte, weiß das. In den Fällen nämlich, in denen das eigene, noch unbekannte Neugeborene mit hohem Fieber röchelnd und quengelnd in seinem Bettchen liegt, hilft dem besorgten Elternteil alle Weltgewandtheit dieser Erde nicht. Dann stürzen alle jemals gehörten und nur unzureichend verarbeiteten Geschichten über den Plötzlichen Kindstod auf ihn ein und er fällt unweigerlich zurück in jenes Stadium seiner frühen Jugend, in dem er atemlos und erstarrt gelauscht hat auf die gefährlich klingenden Geräusche im Nebenraum, weil er nicht sicher sein konnte, dass sie nicht sein Leben meinen. Kind und Vater tauschen die Rollen.

     

    Balthasar Gracián, liest man, konnte auch nicht weghören. Mit seinen Schriften hat er sich den Unmut derer zugezogen, um die er sich (nicht ganz ohne Grund) gesorgt hat. Sie konnten ihn offenbar einfach nicht einordnen, diesen Quengler und Röchler. Jemand wie er, schätze ich, ist nicht besonders oft vorgekommen in ihrer im rasanten Niedergang begriffenen Welt. Deswegen hatten sie auch keine eigene Schublade für ihn. Behelfsweise hat man den Verfasser des Handorakels in die Kiste mit der Aufschrift "aggressiver, gefährlicher Irrer" gesteckt – und entsprechend behandelt. Belegt mit einem Publikationsverbot und Hausarrest ist der Verfasser des Handorakels im Alter von nur 57 Jahren 1658 gestorben - gesundheitlich ruiniert und vermutlich zutiefst enttäuscht. Hätte er seine eigenen Ratschläge beherzigen können, wäre er vermutlich um einiges glücklicher gewesen und deutlich älter geworden.

     

    Und nun, Herr Waibel, verraten Sie mir doch bitte, wie dieses Paradox Ihrer Ansicht nach aufzulösen ist: Höre ich nicht hin, erfahre ich womöglich nie, dass es taktisch mitunter klüger ist, wegzuhören. Höre ich aber hin, erfahre ich unweigerlich, dass mein Leben enger, als dem Glück zuträglich ist, zusammen hängt mit dem Leben der Anderen. Dann wird das Weghören schwer. Vor allem, wenn man sich sorgt, weil man die Anderen irgendwie mag und der sich in Gefahr befindet.

     

    Es ehrt Sie, Herr Waibel, wenn Sie glauben, Häme wäre Ihnen fremd und sie wären "weder der eingebildete Betroffene noch der lachende Dritte", wenn "zwei sich streiten" (und die Medien darüber berichten). Sie können allerdings froh sein, wenn die Mehrheit der Menschen anders "tickt" als Sie. Schließlich sichert der Voyeurismus der Anderen Ihnen Ihr Auskommen. Und haben Sie jemals gehört, dass irgend eine Spitzenkraft des "Betriebs" von seinen Mitarbeitern verlangt hätte, sie mögen die Leser im Sinne der graciánischen Sinnsprüche qualifizieren?

     

    Ich nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Und dabei arbeite ich noch nicht einmal für die Bild. Ich habe nur Gefallen gefunden am Stil gewisser taz-Kolumnisten. Diese Sympathie hat genügt, um mich zum Nachzudenken darüber zu veranlassen, was wohl der ansonsten aggressiv umworbene Abonnent davon halten man, wenn ihm ein Kolumnist den guten Rat erteilt, er möge "sich selbst [...] sowohl den Geschäften als den Personen [...] verweigern".

     

    Ach, Herr Waibel! Wie, glauben Sie, wird der Gesundheitsminister der Bundesregierung demnächst reagieren, wenn er ganz aus Versehen oder dummem Zufall beginnt, die taz nicht nur zu lesen, sondern auch über sie nachzudenken? Ich fürchte, er wird mal wieder eine seiner vollkommen sinnlosen Anordnungen treffen. Zum Beispiel die, dass ab sofort auf jeder Titelseite in dicken roten Lettern der Aufdruck erscheint: "Vorsicht! Taz lesen schadet ihrer (geistigen) Gesundheit!" Und klein unten drunter: "Wollen Sie älter werden als 57, halten Sie es wie ein Westernheld: Erst schießen, dann fragen."