Kolumne Geht's noch?: Dicke Hose in Berlins Kulturpolitik
Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner bootete Intendant Frank Castorf (Volksbühne) aus. Nun steht er selbst in der Kritik. Ist er mutig oder konzeptlos?
D as interessanteste Bühnenstück Berlins findet derzeit nicht in den Theatern der Hauptstadt statt. Es wird um sie herum gegeben und über viele Medien gespielt. Die scheidenden Intendanten Claus Peymann (Berliner Ensemble) und Frank Castorf (Volksbühne) grollen dem Berliner Senat. Peymann bezeichnete Kulturstaatssekretär Tim Renner als „Nichtkönner“, „Lebenszwerg“. Im Gespräch sitze man „einem leeren, netten weißen Hemd gegenüber“.
Das wiederum wollte der von SPD und Exbürgermeister Klaus Wowereit ins Amt geholte frühere Popmanager so nicht auf sich beruhen lassen. In der Zeit kontert Renner wenig diplomatisch: „Kaufen Sie sich mal wieder eine Hose, lieber Claus Peymann, und lassen Sie uns anschließend essen gehen.“ Quereinsteiger Tim Renner weiß offensichtlich nicht, auf welch rutschigem Parkett er sich mit solchen Breitbeinigkeiten bewegt.
Er wird es wohl noch merken. Denn ältere Intendanten in den verdienten Ruhestand zu schicken, ist die eine Seite der Berliner Theaterdebatte. Es geht aber auch darum, was er, also Renner selbst, tatsächlich an neuen Konzepten in der Tasche hat. Castorf an der Volksbühne mag in die Jahre gekommen sein. Doch vieles, wovon der Staatssekretär nun spricht – die Öffnung Richtung Kunst, Popkultur oder neue Medien – hat gerade an der Volksbühne seit den 90ern beispielhaft stattgefunden.
Die Berufung von Oliver Reese als Peymann-Nachfolger ans Berliner Ensemble steht im Ruf, ein Freundschaftsdienst Wowereits gewesen zu sein. Denn Reese wird dort das gleiche Theater machen, das es am Deutschen Theater schon gibt.
Und was hat der prominente Hosenberater Renner nun mit der Volksbühne vor? Er will dort tatsächlich Kunstkurator Chris Dercon von der Londoner Tate Modern als Castorf-Nachfolger installieren. Und nicht wenige interpretieren dies als Angriff auf ein Ensembletheater, das nach 1989 auch wegen seines Gespürs für Anderssein, Subkultur und linken Populismus so erfolgreich war. Nun also die Erneuerung des Theaters aus dem elitären Kunstbetrieb? Wohl eine ziemlich kurze Hose, das.
Anmerkung: Den Autor erreichten verschiedene Zuschriften, dass Tim Renner mit dem Hosenwitz auf ein Dramolett des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard anspielen wollte. Bernhards Schrift „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“ ist 1990 im Suhrkamp Verlag erschienen. Diese Information sei hier nachgereicht und mit dem Hinweis versehen, dass Ironie nicht für jede Debatte und Sprecherposition als das geeignete Mittel erscheint.
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