Kolumne Fußball-Wissenschaft: Vollidioten, labert weiter Blödsinn!

Kritiker kritisieren ist bekanntlich sinnlos. Aber da der Autor seine Tage sowieso mit Sinnlosigkeiten verbringt, macht das nichts.

Tiki-Taka-Helden: Iniesta und Xavi. Bild: dpa

Ich habe zum Aus der spanischen Weltmeister in Brasilien zu viele der schwachsinnigen Kommentare gehört, von wegen „das Ende des Tiki-Taka“, „endlich müssen wir den langweiligen Fußball nicht mehr sehen“. Dazu ein paar Richtigstellungen:

1. So oft es auch wiederholt wird: Das spanische Spiel von den kontinuierlichen Passkombinationen heißt nicht Tiki-Taka, sondern el toque, zu deutsch: „die Berührung des Balles“. Tiki-Taka war ein Schimpfwort des rustikalen spanischen Nationaltrainers der Neunziger, Javier Clemente, der damit das samtene Passspiel der Barca-Schule verspotten wollte: „dieses Tiki und Taki“.

2. Eine Spielart, auch nicht el toque, ist nie am Ende, nur weil ein Vertreter jener Ballschule mit diesem Stil einmal dramatisch scheitert. Oder ist etwa Borussia Dortmunds Stil vom rasanten Ballzurückerobern und sofort in den Angriff übergehen zu Ende, weil sie gegen Real Madrid in der Champions League ausschieden? Spielt etwa niemand mehr Catenaccio, nur weil Mourinho gegen Barcas el toque so oft scheiterte? Spielstile überleben alle Niederlagen, verändern sich, leben in Varianten neu auf.

3. Spanien ist nicht gescheitert, weil sie mit el toque spielten. Sondern weil sie diesen Stil in Brasilien nicht mehr konsequent und gut genug umsetzten: keine Schnelligkeit, keine Varianz im Passspiel, kein Pressing im Angriffsdrittel, teilweise überhaupt keine Aggressivität im Defensivspiel, nur Begleiten des ballführenden Gegners und Raumzustellen. Wer solche Mängel aufweist, kann mit keinem Stil gewinnen.

4. Spanien hat unter Trainer Vincente Del Bosque schon seit 2009 überhaupt nicht mehr den wahren el toque gespielt, sondern nur noch einen degenerierten Abklatsch: Der totale Ballbesitz diente in erster Linie nur noch der Verteidigung. Es wurde sehr oft sehr monoton in den hinteren zwei Dritteln des Platzes hin und quer gepasst, um den Gegner vom Ball fern zu halten, ein Offensiv-Catenaccio. Mit dem großen el toque von Luis Aragonés, Frank Rijkaard, Pep Guardiola hatte das nur noch in der Grundessenz etwas zu tun.

5. „Aggressives Pressing, extreme Rhythmuswechsel, schnelle Konter“, wie sie Dortmund oder die chilenische Nationalelf praktizieren, sind nicht das Gegenteil von el toque, wie nun viele behaupten – sondern es sind essentielle Element des el toque, die Teams wie Dortmund und Chile von Barca und Luis Aragonés‘ Spanien kopiert haben! Das Gegenpressing etwa spielte im modernen Fußball zuerst Guardiolas Barca (und bis heute niemand so radikal wie er), auch die ständigen Rhythmuswechsel zwischen schnell und langsam bewunderte man im heutigen Fußball zuerst bei Spanien und Barca. Und als das Spanien der Ballberührung bei der EM 2008 aufblühte, bot es bei seiner ersten Demonstration – dem 4:1 über Russland – drei astreine, rasante Kontertore. Nahezu alle neuen, aufregenden Elemente des modernen Fußballs stammen aus Barcas Schule.

6. Langweilig? El toque ist der schwierigste Stil, denn er erfordert unglaubliche Genauigkeit, Raffiniertheit und Kreativität. Er ist der ästhetisch anspruchvollste Stil, er gab den Kreativen, den Pass-Erfindern wie Xavi und Iniesta, endlich die Bühne vor den Simplen und Kräftigen. Langweilig war allenfalls die Dominanz von Barca, aber das lag nicht am Stil, sondern an der Schwäche der Gegner. Die deutsche Nationalelf, übrigens, spielte beim 4:0 gegen Portugal einen Stil, der näher am el toque lag als sonst an einem Stil. Ich weiß nicht, ob es jemand langweilig fand.

7. Die chilenische Nationalelf oder Van Gaals Holland liefern tolle Momente. Aber das allgemeine Publikum wird sie außerhalb ihrer Fanzirkel irgendwann vergessen haben, weil sie in ihrem Stil doch nur einige von vielen tollen Fußballteams sind.

Das Barca Guardiolas und das Spanien von Luis Aragonés dagegen werden überdauern, so wie die wenigsten Teams, die Ungarn der Fünfziger Jahre oder Sacchis Milan. Weil sie etwas Einzigartiges boten.

Und nun labert Euren vorgestanzten Blödsinn weiter, Vollidioten!

Anmerkung der Redaktion: Diesen Text hat der Autor erstmals auf seinem Facebook-Account veröffentlicht, inklusive des folgenden Links.

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