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Kolumne Fremd und befremdlichDas Handy, eine verlockende Kammer

Kolumne
von Katrin Seddig

Handys versetzen die Leute permanent in eine andere Welt. Das ist das Gefährliche. Am liebsten würde ich ihnen ihr Handy aus der Hand reißen.

Überall lenkt es einen ab: das Smartphone. Foto: dpa

G estern im Regionalzug saß mir ein junger Mann gegenüber, der in immer kürzeren Abständen die Nase hochzog. „Junge, nimm doch mal ein Taschentuch“, sagte schließlich sein Nachbar, und da schrak er hoch. Er war sehr mit seinem Handy beschäftigt und hatte es einfach nicht bemerkt. Er war so woanders gewesen, dass ihm seine eigenen körperlichen Umstände nicht mehr ins Bewusstsein gedrungen waren. Dieses Nichthiersein, sogar fern des eigenen Körpers, das ist das Gefährliche am Handy, das die Leute permanent in eine andere Welt als die, in der sie sich mit ihrem Körpern befinden, versetzt.

Wenn ich die U-Bahn-Treppe hinaufgehe, und die Menschen vor mir werden langsamer und langsamer, weil es auf ihrem Handy so wichtig geworden ist, und sie verschwinden auf dieser U-Bahn-Treppe in ihr Handy, dann werde ich sehr böse, weil ich auch noch da bin, und dann würde ich ihnen das mistige Handy am liebsten aus der Hand reißen und die Treppe runterwerfen. Ich schreie stumm: Ich bin ein Mensch, ich bin in echt hier, hinter dir, auf dieser Treppe. Auf mich musst du achten, weil du mit mir hier auf dieser Treppe bist. Aber diese Menschen merken es nicht. Sie sind nicht hier. Nur ihre Körper, aber die funktionieren nicht mehr richtig.

Der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Schwimmmeister sagte in der Neuen Osnabrücker Zeitung, es würden immer mehr Kinder im Schwimmbad ertrinken, weil die Eltern auf das Handy starrten. Weil die Eltern auf das Handy starren! Ich würde sagen, die meisten Eltern möchten nicht, dass ihr Kind ertrinkt. Sie möchten ihr Kind vor allem beschützen. Sie fahren es zur Schule, richten Kindergeburtstage aus, und begleiten es ins Schwimmbad. Die meisten Eltern sind sehr umsichtig und fürsorglich, mehr vielleicht als die Generation meiner Eltern, deren Erziehung darauf beruhte, die Kinder abzuhärten und selbstständig zu machen. Aber dann sind diese fürsorglichen Eltern gezwungen, auf ihr Handy zu starren, und dann passiert das, was auch mit dem Jungen in der Bahn passiert ist. Sie merken einfach nicht, dass ihnen die Nase läuft.

Ihr Kind liegt unter Wasser, und sie merken es nicht, sie nehmen es nicht wahr. Wenn sie es wüssten, natürlich, dann würden diese Eltern alles für ihr Kind tun. Aber sie sind eigentlich unschuldig, denn sie merken es ja gar nicht. Sie sind nicht hier. Sie sind im Handy. Das ist so eine Art verlockende Kammer, an deren Eingang die meisten Fähigkeiten abgegeben werden müssen. Das Sehen zum Beispiel. Das Hören, das Denken, das Fühlen. Natürlich können sie all das noch, aber nur innerhalb der Kammer, nicht außerhalb, in der Welt, in der ihr Körper und ihr Leben schutzlos zurückbleiben. Das Kind ertrinkt in dieser Welt, die Nase läuft, das Gehen auf einer Treppe wird schwierig.

Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

Im Kino, wo man ja, in gewisser Weise, auch in eine andere Welt eintaucht, wo extra das Licht ausgemacht wird, damit wir uns vollkommen einem künstlerischen Werk hingeben können, da schalten diese Leute ihre eigenen Lichter wieder an, ihre Handys – im Kino! –, um sich dieses Erlebnis zu zerstören. Sie können nicht mehr wirklich an einem einzigen Ort sein, hier. Weder im Freibad bei ihrem Kind noch im Zug, noch im Kino. Sie sind nie da, wo sie gerade sind, oder nur mit einem Teil ihrer Sinne und Fähigkeiten, sie haben Angst, etwas zu verpassen, und verlieren dabei alles.

Ich habe ein Handy, mit dem man nur telefonieren kann, und ich lasse es oft zu Hause. Es ist schön, in einem Restaurant nur mit dem Freund zu reden, der einem gegenüber sitzt, am Meer zu liegen, ohne ein einziges Foto machen zu müssen, im Freibad mit dem Kind zu spielen, und nur mit dem Kind. Das ist schön für das Kind, den Freund und den eigenen Kopf. Es ist, möglicherweise, sogar ein besseres Leben?

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