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Kolumne Fremd und befremdlichWir werden uns einmischen müssen

Kolumne
von Katrin Seddig

Darf man Gesetze ändern, um die AfD auszuschließen? Das ist eine sehr schwierige Frage. Für mich allein weiß ich, was ich tun muss: Ich bin zuerst meinem Gewissen verpflichtet.

Holocaust-Mahnmal in Berlin: AfD-Politiker Björn Höcke bedauert, dass „die deutsche Geschichte mies und lächerlich“ gemacht werde Foto: dpa

D ie Alternative für Deutschland (AfD) ist so etwas wie das Kind in der Familie, von dem sich der Rest der Familie insgeheim wünscht, es würde nicht dazugehören. Es ist das Kind in der Familie, das immer wieder Dinge tut, die den Rest der Familie sich die Hände vor das Gesicht schlagen lässt.

Wir sind abwechselnd beschämt, empört, verzweifelt, wir wollen mit diesem Kind nichts zu tun haben. Wir sagen: Es gehört nicht zu uns. Aber wie man es dreht und wendet, es ist unser Kind, ein Kind unserer Demokratie, unseres Landes. Es sind unsere Nachbarn, unsere Verwandten, die die AfD gewählt haben, die sie unterstützen oder sogar Mitglied sind.

Ich kenne einen AfD-Wähler persönlich. Ich möchte gerne glauben, dass er beim nächsten Mal, nach allem was wir wissen, nicht noch einmal die AfD wählen wird. Menschen sind so komplizierte Wesen. Aber die Motive ihres Handelns sind oft so schlicht und beschämend.

Wie gehen wir, wie gehe ich mit der Tatsache um, dass die AfD einen Teil Regierungsmacht auch über mich erhalten hat, aufgrund einer demokratischen Wahl? Was ist diese Demokratie mir wert, wenn sie doch auch, am Ende, zum Faschismus führen kann? Zu einem System, das der Demokratie entkleidet worden ist. Denn so funktioniert das, schleichend. Erst bedient man sich der Demokratie, um sie dann zu vernichten.

Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

Die Stiftung der niedersächsischen Gedenkstätten kümmert sich, zum Beispiel, um den Erhalt des Konzentrationslagers Bergen-Belsen im Kreis Celle, in das das Mädchen Anne Frank gebracht wurde. Fast jedes Kind kennt Anne Frank aufgrund ihres Tagebuches, aufgrund einer Schulbildung, die die Erinnerung an Konzentrationslager wachhält.

Die Stiftung der niedersächsischen Gedenkstätten soll eben jene Erinnerung bewahren. Am 4. März wird es eine Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma nach Auschwitz geben. Wenn man möchte, dann kann man sich auf einer der Veranstaltungen darüber informieren, wie Kinder aus der Schule geholt, und gemeinsam mit ihren Eltern von Bergen-Belsen zu ihrer Ermordung nach Auschwitz gebracht worden sind.

Der Bundestagsabgeordnete der AfD, Wilhelm von Gottberg, hat im Ostpreußenblatt einen italienischen Neofaschisten zitiert, nach dem der Holocaust ein Mythos wäre. Dem hätte er nichts mehr hinzuzufügen. Das AfD-Mitglied Wolfgang Gedeon darf aufgrund der in seinem Buch vertretenen Ansichten offiziell als Holocaustleugner bezeichnet werden. Das hat das Landgericht Berlin entschieden.

Lesung

Katrin Seddig liest am 20. Februar um 19.30 Uhr im Kulturhaus 73 in Hamburg aus "Seddigs Sammelsurium"

Björn Höcke hat das Holocaust-Denkmal in einer Rede ein „Denkmal der Schande“ genannt. Wie auch immer er dort missverstanden sein wollte, was sich schwer missverstehen lässt, ist seine in diesem Zusammenhang stehende Aussage, dass er bedauere, dass „die deutsche Geschichte mies und lächerlich gemacht (werde). So kann es und darf es nicht weitergehen“.

Dies sind Beispiele zur Einstellung einiger AfD-Mitglieder zum Holocaust. Keiner der zitierten AfD-Mitglieder ist aufgrund dieser Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen worden. Und nun soll also ein Mitglied der AfD im Stiftungsrat für die niedersächsischen Gedenkstätten sitzen.

Die Überlebendenverbände sind nicht einverstanden, sie wollen mit Angehörigen einer Partei, die solche Mitglieder duldet, nichts zu tun haben müssen. Die Landesregierung überlegt, das Gedenkstättengesetz zu ändern, so, dass die AfD keinen Platz mehr hätte. Ist das richtig? Gesetze ändern, damit sie einem in den Kram passen? Und was ist, wenn die AfD stärker wird? Das Gesetz noch einmal ändern? Ist es legitim, rechtsstaatliche Mittel anzuwenden, die man unter anderen Umständen nicht anwenden würde?

Es ist sehr, sehr schwierig. Für mich allein weiß ich, was ich tun muss. Ich weiß, wem ich verpflichtet bin; zuallererst meinem Gewissen. Denn Gesetze sind, wie alles Menschengemachte, voller Lücken. Wir werden noch viel überlegen und diskutieren müssen. Wir werden uns alle noch sehr einmischen müssen. Denn das Schädlichste sind nicht die Fehler, die wir machen, sondern die Gleichgültigkeit.

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8 Kommentare

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  • Ich liebe kluge Menschen, wie Sie, Frau Sedig. Eigenes Denken ist die Voraussetzung des Seins!

    "Ich bin zuerst meinem Gewissen verpflichtet." ganz richtig ihre Position ist die Voraussetzung für einen eigenen Standpunkt und den notwendigen Diskurs in der Demokratie.

    "Mit einer Reuse fängt man Fische; hast du den Fisch gefangen, kannst du die Reuse vergessen. Mit Wörtern fängt man Ideen ein; hast du die Idee erst einmal begriffen, kannst du die Wörter vergessen. Wo finde ich nur einen Menschen, der die Wörter zu vergessen weiß, so dass ich einige Worte mit ihm wechseln könnte?"

    Schrieb ZHUANGZI (369-286 v.Chr.)

    Das klassische Buch maoistischer Weisheit.

  • Solange in der AfD eben auch Nazis sitzen, ist JEDER Widerstand absolut Pflicht!

  • Die Frage ist eigentlich nicht schwer zu beantworten, denn wenn Gesetze die Meinung der Bürger kontrollieren sollen, dann ist er bereits da, der Faschismus.

  • Früher waren alle viel relaxter damit. Das wurde alles nicht so symbolisch hart aufgeladen, sondern viel unspiessiger gesehen. Politisch klug ist es jedenfalls nicht die Leute auszugrenzen, wenn sie teilnehmen wollen.

  • Liebe Autorin,

     

    auch ihr Gewissen ist: "wie alles Menschengemachte, voller Lücken". Der Vorteil der Gesetze hingegen ist, dass da ein paar tausend Menschen von aussen draufgeschaut haben, als die im Parlament beschlossen wurden.

     

    Als Korrektiv in ihrer Filterblase haben Sie offensichtlich ja nur einen AfD-Wähler.

    Und haben Sie als Bürgerin nicht einen Vertrag mit diesem unseren Staat? Er schützt und versorgt Sie, Sie verpflichten sich im Gegenzug auf Gesetzestreue.

     

    Wenn Ihnen die Gesetze nicht gefallen, steht es Ihnen wie jedem Bürger, frei, Mehrheiten für Veränderungen herbeizuführen.

     

    Lesetip: Platon "Kriton". Hier diskutiert Sokrates mit seinen Freunden, warum er, trotz Todesurteil, nicht flieht, nicht fliehen darf.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Frank Erlangen:

      "...Vertrag mit dem Staat?"

      Nö.

      • @81331 (Profil gelöscht):

        Und lebt sie nicht hier? Auch damit erkennt sie die "Hoheit" an. Ebenso wie die Gesetze dieses Landes.

         

        Wenn Sie nach Land X gehen, geht Ihnen das genau so. Im Iran müssen sie eben, als Frau, Schleier tragen. Das ist der Deal.

      • @81331 (Profil gelöscht):

        Hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft? Das ist der Vertrag.