Kolumne Frauen: Ich kann mich nicht entschei...ße!
Eine Wohnung und 128 Argumente. Was jetzt? Wo sind die Pillen gegen Unentschlossenheit?
W enn diese Kolumne erscheint, werde ich den Mietvertrag für meine neue Wohnung unterschrieben haben. Oder auch nicht. Vielleicht auch nicht.
Es ist immer das Gleiche: Ich kann mich einfach nicht entschei…ße! Einkaufen geht, im Restaurant Essen bestellen auch noch einigermaßen - aber wehe, ich nehme mir für eine Entscheidung richtig Zeit, wäge das Für und Wider ab, ziehe Freunde zu Rate - dann ist alles zu spät. Der Untergang! Je länger ich über einer Entscheidung brüte, desto weiter entferne ich mich von ihr. So gesehen liegt meine potenzielle neue Wohnung mittlerweile längst nicht mehr in Berlin-Neukölln, sondern auf dem Mond.
Neulich stand ich in einer leer geräumten Wohnung im selben Stadtteil. Ich hätte sie haben können. Der Vormieter, ein angenehmer, leicht verdruckster Theaterautor und freiberuflicher Deutschlehrer, hätte sogar die Wände gestrichen. Die Wohnung war sehr schön, großzügig, mit Balkon ins Grüne - aber eben auch schon ein bisschen abgeschabt, um nicht zu sagen ranzig, und dann auch noch ein bisschen ab vom Schuss, wenn man ehrlich ist. Ich stand also in der Wohnung des Theaterautors, die meine hätte werden können, und machte mir, ich schwöre, zum ersten Mal in meinem Leben, Gedanken über den Zustand der Lichtschalter und Steckdosen ringsum. Ach ja, und schlampig tapeziert war die Wohnung auch - vor allem das Durchgangszimmer. Noch 128 andere Argumente sprachen plötzlich gegen die Wohnung, die ich hier nicht alle referieren kann, dem Theaterautor aber in Auszügen ungefragt mitgeteilt habe.
David Denk ist Redakteur im taz-Medienressort.
Wenn er mich daraufhin im Affekt erwürgt hätte, wäre das für uns beide eine Erleichterung gewesen.
Nachdem ich am Sonntag kurz dachte, dass ich vielleicht doch in den Wedding ziehe, geht die Reise jetzt wohl doch - also höchstwahrscheinlich - nach Neukölln. Die erste Reaktion meiner Freundin R., wohnhaft eben dort: "Da kann ich mir dich so überhaupt nicht vorstellen." Na, herzlichen Dank auch! Ich hatte mit mehr Begeisterung gerechnet. Die kam erst auf, als ich ihr erzählte, wohin genau ich wohl ziehe, nach Neukölln light nämlich: "Da passt du auch viel besser hin." Das wollte ich nun auch wieder nicht hören. Ich will kein Szenemitläufer sein und werde es jetzt wohl doch: von Prenzlauer Berg nach Kreuzkölln - die Karawane zieht weiter und ich häng mich dran.
Seitdem die Kündigung für meine alte Wohnung raus ist, fällt mir erst auf, wie schön es doch am Helmholtzplatz ist und selbst meinen winzigen, dunklen Bunker sehe ich plötzlich in einem anderen, schmeichelnden Licht. Will ich hier wirklich weg? Sind 34,42 Quadratmeter nicht doch genug Platz für jemanden, der eh nie zu Hause ist?
Gibt es vielleicht Pillen gegen meine Krankheit (und bitte nicht die Placebos, die der Held in Benjamin Kunkels Roman "Unentschlossen" frisst)?
Ich bitte um Verzeihung dafür, dass es heute kaum um Frauen ging. Aber manchmal gibt es einfach Wichtigeres.
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