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Kolumne EurokolumneZu Gast bei Angst

Noch zehn Wochen bis zur Fussball-EM. Zur Einstimmung: Die Eurokolumne (I), heute aus der Schweiz.

Schweizer und Österreicher sind einander ziemlich egal, auch wenn die Dialekte an der Staatsgrenze im Osten des einen und im Westen des anderen Landes eine gewisse Verwandtschaft haben mögen. Andererseits versteht man sich zwischen Basel und Lörrach ganz gut. Und aus Lörrach, dem badischen Grenzkaff, das die Schweizer früher ihrer günstigeren Puffs wegen besuchten, stammt denn auch jene unheimliche Lichtgestalt, die die Lüste und Ängste dieser Euro 08 besser personifiziert als die imaginierten Volksverbindungen der beiden Alpenstaaten. Denn eigentlich wird es auch in diesem Sommer um das Verhältnis der (Deutsch-)Schweizer zu den Deutschen gehen. Und um Othmar Hitzfeld aus Lörrach.

Nur über den Umweg Deutschland erscheint die austriakisch-helvetische Freundschaft überhaupt denkbar. Das liegt an der Angst vor den Deutschen. In der Schweiz heißen sie generell Schwaben. In Österreich Piefkes. Warum ich jetzt meine «Apfelschorle» auf Piefkenesisch bestellen würde, hat mich jetzt ein Wiener Schankwirt mit dem "Obi gespritzt" in der Hand gefragt. Heinzi, der Schankwirt, hatte nämlich meinen Schweizer Akzent nicht entdeckt. In der Schweiz hätte ich dies für ein Kompliment gehalten.

Der Wiener Taxifahrer entschuldigt sich, weil er mich -schon wieder, juhu! - für einen Deutschen hält. Der Schweizer, der mir den Skiliftbügel reicht, regt sich auf, weil ich ihn Hochdeutsch angesprochen habe, da meine Begleitung aus Bochum kommt. Und begründet das dann so (Übersetzung des Autors): "Wie saudumm muss ich mich denn fühlen, wenn ich mit einem Schweizer Deutsch spreche!"

Der Schweizer hat sich also für sich selbst geschämt, der Wiener aber hat sich bei mir persönlich entschuldigt. Die Deutschen in der Schweiz kennen das alles nur zu gut. Seit im Land eine Umschichtung in der Zuwanderung von Norden nach Süden einsetzt, seit hochqualifizierte Deutsche en masse in die Schweiz ziehen und die Italiener als größte Einwanderergruppe, zumindest in Zürich, abgelöst haben, seither hört man auch in linksliberalen Kreisen Dinge, die man über Italiener nie gehört hat. Früher hielt man sich ja stets an Max Frisch: Man rief Arbeiter, und es kamen Menschen. Für die Deutschen übersetzt heißt das heute: Man rief Arbeiter, und es kamen Chefärzte. Und: Die sich dann auch noch erfrechen, sich wie solche zu benehmen.

Aber zuerst kam Othmar Hitzfeld aus Lörrach, ein äußerst sensibler Nachbar, was das Benehmen angeht. Die Schweizer kennen ihn bereits als Clubtrainer wie auch als Förderer des Westschweizer Spielers Stéphane Chapuisat bei Borussia Dortmund, zu einer Zeit, als noch nicht so viele Schweizer im Ausland spielten wie heute (mit so schön klingenden Namen wie Chiumento, Senderos, Barnetta, Rakitic oder Behrami). Aber jetzt soll Hitzfeld nach der Euro die Schweizer Nationalmannschaft übernehmen, kurz Nati genannt, sprich: Nazi, aber mit kurzem a.

Hitzfeld ist so wenig ein Großsprecher wie Jogi Löw, der vor dem Testspiel zwischen der Schweiz und Deutschland letzte Woche redlich darum bemüht war, die Schweizer Nati nicht zu unterschätzen. Das entspricht genau dem Verhalten der meisten frisch zugewanderten Deutschen, die ich kenne und die alles dafür tun, um nicht als teutonische Rüpel in der Öffentlichkeit zu erscheinen. In der Schweiz verlieren die Deutschen meistens ihre Schärfe - und ich muss wieder alles selber machen. Dass die deutsche Elf die Nati in Basel mit einem 0:4 degradiert hat, war also höchste Zeit.

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