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Kolumne EurokolumneZeus greift nach der Nymphe

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Noch sieben Wochen bis zur Fußball-EM. Die Eurokolumne (IV), diesmal aus der EM-Hauptstadt Wien, wo sich die Kulturschaffenden schon auf ganz neue Fan-Kreise freuen.

U rsula Stenzel, die konservative Bezirksvorsteherin der Wiener Innenstadt, wird von einem Albtraum geplagt: Wild gewordene Hooligans erklimmen Denkmäler und historische Gebäude, entleeren ihre bierprallen Blasen auf die gepflegten Beete des Volksgartens und des Rathausparks und vergraulen Kulturtouristen, die sich an den Schönheiten der ehemaligen Habsburgermetropole erfreuen. Im Juni wird nämlich ein Teil der Ringstraße, des gründerzeitlichen Wiener Prachtboulevards, in die zentrale Fanmeile der Fußball-EM 2008 verwandelt.

Bild: privat

Ralf Leonhard ist Österreich-Korrespondent der taz und lebt in Wien.

Burgtheaterdirektor Klaus Bachler zieht die Konsequenzen und schließt sein Etablissement. Das Ensemble der ersten Bühne des Landes flieht vor dem Lärm vor dem Haus und macht selbst "Viel Lärm um nichts" (Shakespeare) in Graz. Auch Gastspiele in München, Israel und Kanada sind geplant. Leerstehen wird das ehrwürdige Gebäude aber nicht, vielmehr stehen Interessenten Schlange, die es während der Europameisterschaft mieten wollen. Bachler: "Es ist sehr erfreulich, dass wir in einem Monat sehr viel Geld verdienen können. Mit unserem Kulturauftrag könnten wir das nicht."

Dass rund um den Fußball viel Geld zu machen ist, hat sich nicht nur in der Gastronomie herumgesprochen. Auch die Museen stellen sich auf das sportliche Großereignis ein. So bietet das Technische Museum mit "herz:rasen - die Fußballausstellung" eine interaktive Schau, bei der die Besucher ihre Eignung als Fußballer testen können. "Trainieren Sie ,Schwalben' wie ein Profi", lädt die Homepage ein. Auch eine nationale Schmach kann man rückwirkend tilgen: "Sie haben auch die Möglichkeit, mit Einsatz und Können die 0:1-Niederlage der österreichischen Nationalmannschaft beim Fußball-Länderspiel gegen Färöer im Jahr 1990 in einen fulminanten Sieg umzuwandeln."

Auch Wilfried Seipel, Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums (KHM) fürchtet keine Hooligans: "Die Fußballfans halten wir für kulturbeflissener als so manch andere." Seipel, der sich vor fünf Jahren das teuerste Salzfass der Welt, die Saliera des Renaissancekünstlers Benvenuto Cellini, von einem Hobbyeinbrecher stehlen ließ, hat mit einer prächtigen Tutanchamun-Ausstellung aus dem Ägyptischen Museum in Kairo einen antiken Blockbuster an Land gezogen, der im Völkerkundemuseum zu sehen ist.

Im Haupthaus, dem Kunsthistorischen Museum, wird die Arcimboldo-Ausstellung wenige Tage vor dem Ankick der EM abgehängt. Aber auch ohne Sonderausstellung will man den Sportfreunden etwas bieten. Das Elferticket (elf Mann kommen, nur neun zahlen) soll Gruppen anlocken, mit dem KHM-Ladysticket (Damen zahlen die Hälfte) wirbt man um die Fußballgroupies. Die Highlights der Sammlung werden in speziellen Führungen für die Fans neu aufbereitet. "Die schönsten Fankurven der Welt" verheißt ein Plakat, auf dem Göttervater Zeus in Gestalt einer grauen Wolke nach der nackten Hüfte der üppigen Nymphe Io greift. Correggio einmal anders. Ob sich die Fußballfans die Busenwunder von Dürer bis Rubens als Fankurven schmackhaft machen oder Schlachtenszenen und antike Meuchelmorde als die "schönsten Fouls der Kunstgeschichte" verkaufen lassen?

Absolut Jugendfreies verspricht das Zoom Kindermuseum. Quäkende Kinder, die nicht verstehen, wie man stundenlang vor der Videowand zweiundzwanzig Männern beim Laufen zusehen kann, darf man dort abladen. Vielleicht zeigen sie anschließend mehr Verständnis für Papas Zeitvertreib.

Wiens Fußball- als Stadtgeschichte zeichnet das Wien Museum am Karlsplatz in der Schau "Orte des Wiener Fußballs" nach. Und auch das Rathaus - ein zentraler Punkt der Fanmeile - rüstet sich mit einer Ausstellung: "Eleganz des runden Leders".

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Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.

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