Kolumne Erwachsen: Alptraum RTL-Redakteur
Als Erwachsener muss man schlafen, um am nächsten Tag arbeiten zu können. Auch wenn einem Träume mit Dieter Bohlen die Nachtruhe vergällen.
S tellen Sie sich vor, Sie wachen morgens in aller Früh auf und denken, die Nachtigall trapst – und dann stellt sich heraus, dass es bloß ein Lkw ist, der rückwärts einparkt.
So ist das mit dem Erwachsensein. Desillusionierend, und außerdem ist es draußen furchtbar kalt, es schneit sogar. Eine gute Zeit eigentlich, um sich endlich einmal so zu verhalten, wie es sich für Erwachsene gehört. Man geht abends nicht aus, sondern bleibt zu Hause, widmet sich ein wenig der Medienrezeption und geht dann spätestens um Mitternacht ins Bett.
Wie sagte neulich eine Freundin, Mutter eines pubertierenden Sohnes: „Als Kind denkt man, dass man als Erwachsener tun und lassen kann, was man will. Aber man muss eben auch schlafen, damit man am nächsten Tag arbeiten kann.“
Jahrgang 1973, ist Redakteur der sonntaz. Der gelernte Historiker arbeitet seit 2004 für die taz (taz2, taz.mag, taz.de), u.a. als Autor, Reporter, Kolumnist ("Back on the Scene") und Redakteur. Sein Schwerpunkt liegt auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Martin Reichert lebt in Berlin-Neukölln und geht an sonnigen Tagen am liebsten in den benachbarten Volkspark Hasenheide, um dort Filterkaffee zu trinken.
Damit fangen die Probleme an. Das Einschlafen zum Beispiel. Nicht schwer, wenn man total übermüdet aus einer Bar / aus dem Theater / von einer Veranstaltung kommt und dankbar wie ein Stein in die Kissen sinkt. Aber schwierig, wenn man putzmunter ist von der ganzen inneren Ausgeglichenheit, welche man auch als Mix aus Langeweile und Einsamkeit bezeichnen könnte, wäre man nicht: erwachsen.
Heimgesucht wird man von Träumen, die durch unruhigen Halbschlaf in das Bewusstsein dringen, leider.
Nachts bei Catherine Deneuve
So war ich neulich des Nachts zu Besuch bei Catherine Deneuve in ihrem Pariser Appartement, irgendwo in der Nähe der Avenue Foch. Madame war in einen weißen Kittel gewandet und bemalte inmitten ihres Wohnzimmers riesige Leinwände – nicht ohne dabei die kostbaren Fauteuils mit Farbe zu bekleckern. Dann kam die Problemstellung: Sie hatte Mäuse in ihrer Wohnung, und nun war es an mir, sie zu beseitigen. Will man so etwas träumen? Kammerjäger bei Catherine Deneuve?!
In der Nacht von Sonntag auf Montag wiederum hatte ich einen Albtraum. Ich war Redakteur bei RTL und musste unter Hochdruck irgendwelche Konfliktsituationen zwischen hysterischen C-Prominenten konstruieren („Dschungelcamp“) und für „DSDS“ Kandidaten finden, die sich freiwillig als totale Larrys vorführen lassen. Falls ich es nicht schaffte, würde man mir SUV und Tankkarte wegnehmen. Zumindest blinkte diese Drohung auf dem Bildschirm meines Laptops in Form einer Intranet-Mail von Dieter Bohlen.
Ich war nass geschwitzt.
Gestern war ich dann wirklich zermürbt von den schlaflosen Nächten. Der Fernseher blieb aus und ich ging in die Bar um die Ecke. Ein Bekannter am Tresen erzählte mir von seinem letzten Albtraum – er war Gast bei seiner eigenen Beerdigung: „Ich konnte jedes einzelne Gesicht genau erkennen. Meine Eltern, mein Bruder, ich weiß nun, was auf mich zukommt.“
„Statistisch gesehen sterben Sie zu Hause“
Der Barkeeper ergänzte: „Statistisch gesehen ist es ja so, dass die meisten Menschen zu Hause sterben. Es ist nur nicht ganz geklärt, ob in ihrem Bett oder auf der Couch.“
Vielleicht, so dachte ich, nachdem ich mir noch ein Hefeweizen bestellt hatte, wäre es gerade eher an der Zeit für einen tierischen Winterschlaf. Erwachsen werde ich dann im Frühjahr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos