Kolumne Durch die Nacht: Subversiv und unverzichtbar: Tanzen
Erst wenn in Berlin wieder getanzt werden darf, kommt die Freiheit wirklich zurück in diese Stadt, meint taz.berlin-Kolumnist Andreas Hartmann.
Ein großer Tänzer bin ich nicht und nie einer gewesen. Wenn andere ihre Körper im Einklang zur Musik geschmeidig zucken lassen, sieht das bei mir so aus, da bin ich mir ganz sicher, wie ich mir Friedrich Merz in Jogginghose vorstelle: irgendwie komisch.
Aber wenn ich es hinbekomme, den Gedanken auszublenden, dass gerade wahrscheinlich alle mit dem Finger auf die traurige Gestalt zeigen, die diese bizarr ungelenken Moves zeigt, vollführe ich meine Tanzdarstellungen eigentlich ganz gerne. Nur ob diese auch als politisches Statement und Ausdruck meines grenzenlosen Wunsches nach individueller Entfaltung taugen, daran habe ich so meine Zweifel. Mit dem bisschen Geschwofe verändere ich die Welt bestimmt nicht.
Aber vielleicht irre ich mich da auch. Denn Corona hat gezeigt: Nichts ist bedeutender, gefährlicher, unheimlicher, radikaler und subversiver, als im Takte von Musik seine Hüften kreisen zu lassen und mit den Armen zu rudern wie ein Boxer beim Aufwärmen.
Es ging ja schon los in Ischgl, wo bei Après-Ski-Partys das Virus rundum weitergereicht wurde wie ein Joint in der Kiffer-WG. Auf Aufnahmen dieser Partys sieht man zwar Tanzende, die eher torkeln und deren Bewegungsfreiheit vom x-ten Schnaps eingeschränkt ist, aber egal: Das Bild vom tanzenden Coronamonster war geboren. Und wer tanzt, ist seitdem ein niederträchtiger und verantwortungsloser Mensch, der auch Katzen zum Spaß am Schwanz zieht. Das ging so weit, dass man darauf achten musste, nicht zu beschwingt durch die Hasenheide zu latschen, damit es nicht gleich irgendwo hieß: Und wieder wurde ein Tanzender gesichtet, der gegen die Hygieneregeln verstoßen hat.
Tanzen konnte auch schon vor Corona ein politisch aufgeladener Akt sein
Tanzen konnte auch schon vor Corona ein politisch aufgeladener Akt sein, dafür gibt es genügend Beispiele. Weißen Teenagern, die sich zur Race-Musik schwarzer Künstler etwas zu ekstatisch bewegten, wurde in den USA der fünfziger Jahre von ihren Eltern ungebührliches Verhalten vorgeworfen. Und der in den Ballrooms New Yorks entwickelte Tanzstil des Vogueing verhalf einer marginalisierten Gruppe schwarzer Schwuler zu mehr Selbstbewusstsein.
Aber vielleicht nirgendwo in der Welt wird dem Individualtanz so viel Bedeutung beigemessen wie in Berlin. Millionen Tänzer und Tänzerinnen bei der Loveparade unter der Siegesäule wurden zu Transporteuren eines neuen Lebensgefühls erklärt. Und noch immer zieht der sogenannte „Zug der Liebe“ einmal im Jahr durch die Stadt, als angemeldete Demonstration, bei der man auf den Straßen mindestens für den Weltfrieden tanzt.
Und nichts scheint gerade ein größeres Politikum zu sein als das anhaltende Tanzverbot, das als Maßnahme gegen die Pandemie begründet wird. Die Berliner Clubcommission begehrt dagegen auf, und Berlins bekanntester Berghain-Gänger, Kultursenator Klaus Lederer, macht sich stark gegen das Tanzverbot, das sich doch verdächtig ähnlich anhört wie „Swing tanzen verboten“, was einem Mythos nach zur Nazizeit auf Schildern in Tanzlokalen zu lesen gewesen sein soll.
Damit Tanzen endlich wieder erlaubt werden kann, soll an diesem Sonntag im Revier Südost ein Rave stattfinden, bei dem sich ausdrücklich rhythmisch bewegt werden darf, und das alles im Namen der Wissenschaft. Getestet draußen zu tanzen ist etwas anderes als Ischgl, diese Erkenntnis soll das Pilotprojekt möglichst liefern.
Und ab dem 18. Juni möchte Lederer das Tanzen so oder so wieder genehmigen. Weiß er doch: Shoppen, Essen gehen, alles schön und gut, aber erst wenn in Berlin wieder getanzt werden darf, kommt die Freiheit wirklich zurück in diese Stadt.
Doch das Gefühl, bei zu exaltierten Körperverrenkungen sofort verhaftet zu werden, werde ich wahrscheinlich auch nach der Aufhebung des Tanzverbots so schnell nicht loswerden. Denn so schlecht zu tanzen wie ich, das kann einfach nicht erlaubt sein.