Kolumne Durch die Nacht: Das Kino in Zeiten der Glutenfrage
Die Aufwertung der schnöden Nahrungszufuhr zum Kulturevent: mit dem Kulinarischen Kino bei der Berlinale wird das wieder aufgetischt.
Nichts ist heute ja bekanntlich wichtiger als Essen. Und über nichts wird lieber geredet. Ich weiß gar nicht, worüber sich die Leute früher so auf Partys unterhalten haben, als das noch nicht so war und niemand eine Glutenunverträglichkeit hatte.
Essen ist auch das neue Ausgehen. Auf manchen Konzerten habe ich oft das Gefühl, die Besucher sind sowieso nur hier, um Futter (sic!) für ihre Handykamera zu bekommen. Und das kann man beim Essen einfacher haben, was auch ein Grund für die grassierende Foodie-Kultur ist. Milliarden von Foodfotos auf Instagram beweisen es.
Die Aufwertung der schnöden Nahrungszufuhr zum Kulturevent, wie es beim Kulinarischen Kino bei der nächste Woche beginnenden Berlinale geschieht, ist also nur eine logische und zeitgemäße Entwicklung. Auch in diesem Jahr kann man wieder im Martin-Gropius-Bau Filme sehen und danach allerfeinst dinieren.
Das Kulinarische Kino wird ja gern genannt, wenn man dem nach dieser Berlinale scheidenden Festivalchef Dieter Kosslick mal wieder unterstellen will, zu sehr auf das Drumherum seiner Veranstaltung Wert zu legen, anstatt auf die Auswahl seiner Filme. Aber wenn man bedenkt, dass es diese Reihe für Cineasten und Foodies in Personalunion bereits seit zwölf Jahren gibt, muss man auch attestieren: Hier hat wirklich mal jemand Weitblick bewiesen.
Das große Fressen
Essen und Kino, das war für die meisten von uns vor dem Kulinarischen Kino doch nicht viel mehr als die Völlerei und Furzerei aus dem Film „Das große Fressen“. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir vor vielen Jahren tatsächlich mal einen „Das große Fressen“-Filmabend in irgendeiner WG veranstaltet haben. Der Film und dazu ganz viel zum Mampfen, mehr fiel uns dazu damals eigentlich nicht ein.
Das Kulinarische Kino auf der Berlinale, wo Spitzenköche ihre Menüs passend zum gezeigten Film komponieren, hat nicht nur uns gezeigt, dass da mehr möglich ist. Wahrscheinlich hat es dazu beigetragen, dass die konzeptionelle Gestaltung dieser Heimkino-Abende heute etwas origineller ausfällt.
Dokus als Denkfutter
Damals, als es losging mit dem Kulinarischen Kino, gab es auch nicht diese Flut an Food-Dokus wie heute. Fast scheint es, als hätte Dieter Kosslick diese Entwicklung gleichfalls vorausgeahnt.
Denn auch diese Filme, die bevorzugt Ökosünden im Zusammenhang mit unserem Ernährungsverhalten aufdecken, sind fester Bestandteil der kulinarischen Reihe. Viele davon allerdings in der Unterkategorie „Food For Thought“. Was sich übersetzen lässt als „Denkfutter“. Wirklich was zum Futtern jedoch gibt es ausdrücklich bei diesen Filmen nicht. Wahrscheinlich, weil es arg komisch wirken würde, zuerst eine Doku über Missstände bei der industriellen Tierhaltung zu sehen und danach ein ausgefallen zubereitetes Schweineschnitzel serviert zu bekommen. Da würde es auch nicht helfen, wenn das Fleisch bio ist.
Aber diesem Punkt vermag ich nicht so recht zu folgen: Rohkostmenüs, vegane Zaubereien, da gäbe es doch genug anzubieten für Leute, die sich gern Nachdenkfilme über die schrecklichen Zustände in der Ernährungsbranche ansehen. Irgendetwas essen müssen die ja schließlich auch.
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