Kolumne Dumme weiße Männer: Viel Testosteron, wenig Pigmente
In Brasilien haben korrupte weiße Männer alle Frauen und Nicht-Weißen aus der Regierung getrieben. Nun leben alte Hierarchien wieder auf.
W enn das der Backlash auf den steigenden Einfluss von Frauen und Nichtweißen ist, dann ist er überdeutlich: Das neue Kabinett in Brasilien besteht ausschließlich aus weißen Männern. Zur Macht gekommen sind sie, indem sie in einem zweifelhaften Verfahren Brasiliens erste Präsidentin von ihrem Amt suspendiert haben.
Nun war das Kabinett der geschassten Dilma Rousseff, mit 6 Frauen und einem schwarzen Mann in 39 Ämtern, weit davon entfernt, ein Paradies der Gleichberechtigung zu sein – doch zuletzt war eine brasilianische Regierung zu Zeiten der Militärdiktatur so weiß und männlich. Und während sie Rousseffs Regierung vorwerfen, ihre Bücher schöngerechnet zu haben, sind viele ihrer Gegner selbst der persönlichen Bereicherung durch Korruption verdächtigt.
„Tschüss, Liebes“ stand auf Schildern, die manche Abgeordnete nach der Wahl zu Rousseffs Amtsenthebung hochhielten. Rousseff selbst stellte berechtigterweise die Frage, ob ein männlicher Präsident bei ähnlichen Vorwürfen wohl je so behandelt worden wäre wie sie. „Ordnung und Fortschritt ohne Frauen und Schwarze“, schrieb ein brasilianischer Journalist auf Twitter. „Die Regierung Temer beginnt mit viel Testosteron und wenig Pigmenten.“
Aufgrund von Kolonialismus und Sklavenhandel sind in Brasilien Rassismus und Armut eng miteinander verwoben. Und so stellt die Suspendierung Rousseffs alte Hierarchien wieder her – tatsächlich, wie symbolisch. Die neue Regierung um den ehemaligen Vizepräsident Michel Temer besteht aus der alten Elite, die die 13-jährige Herrschaft der Arbeiterpartei nicht mehr aushielt. Das neue Kabinett signalisiert: Egal, dass die Mehrheit in Brasilien Nichtweiße und Frauen sind, weißen Männern gehört die Macht. Am anderen Ende dieser Hierarchie sind schwarze Frauen, die am häufigsten Opfer von Gewalttaten sind.
Doch zugleich geht es in Brasilien wohl auch darum, wie Frauen zu sein haben. Dilma Rousseff kämpfte in der Guerilla gegen die Militärdiktatur, wurde als Gefangene gefoltert, war zweimal verheiratet und ist zweimal geschieden. Das Gegenmodell ist derzeit die Frau Michel Temers, die neue First Lady. 43 Jahre jünger als Michel, wurde Marcela Temer kürzlich in einem Zeitungsporträt als „schön, sittsam und Hausfrau“ beschrieben. Sie sei „glücklich“ weil ihr Mann sie mal wieder zum Essen ausgeführt habe, heißt es, und wünsche sich einen zweiten Sohn mit ihm.
Nur elf Länder werden von Frauen regiert
Mit der Suspendierung Rousseffs verschlechtert sich eine andere, selten beachtete Statistik: die der weiblichen Regierungschefinnen weltweit. Von den fast 200 Ländern der Welt werden gerade einmal elf von Frauen regiert, nun sind es zehn. Unübersehbar ist auch: Die Mehrzahl dieser Frauen sind Nichtweiße und sie regieren nicht etwa die Demokratien des Westens, sondern die Demokratien des Globalen Südens. Ausgerechnet die Geburtsländer der modernen Demokratie, die USA und Frankreich, haben noch nie eine Präsidentin gehabt. Die Weltmacht Russland ebenfalls nicht. Und in Ländern wie Großbritannien und Deutschland sind Regierungschefinnen noch immer die Ausnahme.
Kurz: Männer regieren die Welt, weiße Männer haben die Macht.
Wie kommt es? Einen Hinweis kann man dieses Jahr zum Beispiel in den USA finden, wo im November Hillary Clinton die Statistik zugunsten von Frauen wieder etwas aufbessern könnte. In den Umfragen sind sie und ihr rechtspopulistischer Konkurrent Donald Trump fast gleichauf. Eine gestandene Politikerin mit jahrzehntelanger Erfahrung liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit einem rassistischen Armenfeind, einem schlechten Geschäftsmann, mit wahnwitzigen politischen Ideen und Widersprüchen ohne Ende.
Das Einzige, was offenbar das alles vor dem Wahlvolk ausgleichen kann? Trump ist ein weißer Mann. Und so ist es auch kein Wunder, dass die bisherige Opposition in Brasilien sich mit einem absurden Slogan auch an ihn wandte: „Trump gewinne und hilf Brasilien“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links