Kolumne Die eine Frage: Wie kleine Kinder

Die Autopopulisten Scheuer, Kramp-Karrenbauer und Lindner ignorieren die ökologische Modernisierung. Die müssten sie eigentlich vorantreiben.

Christian Lindner steigt aus einem Auto aus

Würde wohl am liebsten selbst fahren. Schnell. Und weit. FDP-Chef und Autofan Christian Lindner Foto: dpa

Es gibt einen großen Pathos in allen demokratischen Parteien, dass der Klimawandel die große Frage des 21. Jahrhunderts sei und man da unbedingt was machen müsse.

Nur nicht jetzt. Und nicht so.

Die ehemaligen Volksparteien und auch Teile der Gesellschaft sind mental nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Sie leben gefühlt in der guten alten Industriegesellschaft der Frühglobalisierung. Dieser ganze Muff von siebzig Jahren soll möglichst nicht aufgeschüttelt werden.

Die maßlose Übersteigerung der Flüchtlingspolitik ist ja oft genug tiefenpsychologisch analysiert worden als Trigger für die hartnäckig verteidigte Illusion, dass man eine ewige Gegenwart haben könne mit sicheren Grenzen, in der wir und unsere fossil produzierten Waren schön rauskönnen, aber nichts reinkommt, was stört oder das Verteilen schwieriger macht.

Diese Übersteigerung hat nun auch die ökologische Modernisierung erreicht. An Verkehrsminister Scheuer oder sogar der CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer kann man sehen, wie das populistische Sprechen um sich greift im Namen des Volkes oder wie die sekundierende FAZ behauptet, der „hart arbeitenden Autofahrer“. Man könnte sich totlachen, wenn es nicht um viele direkte und indirekte Verkehrstote ginge.

Scheuer ignoriert nicht nur die ökologische Modernisierung, die er vorantreiben müsste. Er de­legitimiert demokratische Strukturen, indem er die eigene Expertenkommission als Gegenpol zum „Menschenverstand“ bezeichnet. In einer Situation in der illiberale Autoritäre gegen die Komplexität von politischen Entscheidungsprozessen „einfache Lösungen“ anbieten und Demokratie als Verschwörung von Eliten delegitimieren.

Die Überhitzung

Der Haupttrick, den speziell Christian Lindner gern anwendet, ist die absichtliche Verwechslung von wissenschaftlich fundierter, demokratisch diskutierter und europäisch beschlossener Politik (etwa Abgasgrenzwerten) mit einer „ideologischen“ Verschwörung gegen das Volk und seinen Wohlstand. Ordopolitik nennt er – ältere FDP-Mitglieder wird das interessieren – „Kulturkampf“. Da hat man xenophobe Emotionen auch noch schön angetriggert.

Jetzt kann man nicht behaupten, dass die Grünen diesen Trick der Überhitzung nicht kennen, sie haben Jahrzehnte davon gelebt. Aber nach vielen Jahren der Vorarbeit von Protagonisten wie Özdemir und Al-Wazir werden die Grünen von Baerbock und Habeck von großen Teilen als vernünftige Leute geschätzt. Klar, dass die politischen Gegner ihre alten „Verbotsrhetoriker und Verzichtprediger“ (FAS) zurückhaben wollen, die mit 8,4 Prozent irrelevant herumkrakeelten wie heute die FDP.

Die Frage ist, ob, wie und mit welcher Sprache man die ressortübergreifende sozialökologische Politik im gesellschaftlichen Gespräch etabliert. Die Scheuers und Lindners müssen ja auch deshalb herumschreien wie kleine Kinder, weil die erwachsenen Grünen kaum oder nur ganz behutsam darüber sprechen.

Es gibt zwei Möglichkeiten: Es geht einfach nicht. Oder zweitens: Die populistische Lautstärke und Autofahrervolksbeschwörung von Scheuer und Lindner kündet von deren Ahnung, dass sie in die Minderheit geraten und ein Mainstream die ökologische Modernisierung als essenziellen Teil des neuen Kanons einer modernen Orientierungspartei ansieht – wenn man es richtig erzählt.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Das tut mir speziell leid für meine linkssozialdemokratischen Freunde, aber ich kann auch ihnen die Realität nicht ersparen: In Baden-Württemberg ist das bereits so.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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