piwik no script img

Kolumne Die eine FrageInnehalten ist nicht mehr

Man muss jetzt auch im Urlaub kreativ sein. Das ist der konsequente nächste Schritt einer durchgeknallten Mittelschicht in Richtung Wahnsinn.

Und wo ist sein Projekt? Foto: Sam Solomon / Unsplash

N ur 40 Meter vom Pazifik entfernt chillte ich in einem kalifornischen Jacuzzi. Super Frau neben mir, unfassbar blauer Himmel über mir, ein winziger Hauch Zitrone in der Luft. On top of that „Take it Easy“ in der Eagles-Version. Ich muss zu meiner Entschuldigung sagen, dass ich immer davon ausging, dass man sich Urlaub verdient hat und Entspannung auch mal sein muss. Gerade im Spätkapitalismus, um die gnadenlose Turbo-Selbstausbeutung dann wieder zur vollsten Zufriedenheit des Systems und seiner Nutznießer vorantreiben zu können.

Doch plötzlich las ich in der New York Times, das jetzt alles anders ist. Man liegt gar nicht mehr rum. Man muss jetzt auch im Urlaub kreativ sein und was arbeiten!

Jetzt bin ich als Medienmensch sofort skeptisch, was „neue Trends“ angeht. Jeder Praktikant lernt als Erstes, dass mancher Redakteur sofort hyperventiliert, wenn zwei Hansel etwas tun, das er selbst mal wieder nicht mitgekriegt hat. Einer reicht aus handwerklichem Ethos nicht, aber bei zwei Fällen zwingt er einen armen Reporter loszuhecheln, um einen neuen „gesellschaftlichen“ Trend auf den Titel bringen zu können. Ich hatte diese Krankheit früher auch.

Aber erstens sprechen wir hier von der New York Times und zweitens werden in dem Report eine ganze Reihe von Leuten zitiert. Es handelt sich eindeutig um eine neue Avantgarde, die vorangeht und ihre maximal zwei Urlaubswochen nutzt, um schnell noch ein fundamentales Buch zu schreiben, Chefkoch in molekularer Küche zu werden oder ein einzigartiges Kanu zu schnitzen, inspiriert von Artefakten, die sie im New Yorker MoMA gesehen haben. Als sie noch pupsnormal Urlaub machten.

Home Depot statt Grand Canyon

Meine Lieblingspioniere sind ein Anwalt aus Des Moines, Iowa, und sein Ehemann, ein Komponist. Das Paar ist jahrelang im Urlaub um die Welt geflogen, um die üblichen Ziele der globalisierten Mittelschicht abzureisen. In diesem Sommer bleiben sie zu Hause, um ein neues Gehege für ihren geliebten Waran Vera zu bauen. Statt zum Grand Canyon, sagt der Anwalt, fahre man zum Home Depot, also zum Praktiker-Markt, um dort umweltfreundlichen Harzkleber zu kaufen.

Da den Pinsel reinzutauchen und dann hin und her zu schwenken, das sei meditativ und auf eine ungleich stärkere Art verbindend, als durch einen europäischen Flughafen zu laufen. Es ist nicht nur ein Liebesdienst an dem Waran, sondern auch am Partner und an einem selbst, weil man durch das gemeinsame Projekt in die Ehe als auch in die Weiterbildung der eigenen Persönlichkeit investiert.

Auch eine vormals poplige Hausrenovierung ist nun der Abenteuerurlaub der Avantgardisten.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Bisher mussten sich Paare in besinnlichen Merlot-Stunden immer die Geschichte ihrer Hochzeitsreise erzählen. „Jetzt können wir uns erzählen, wie es in dem Sommer war, als wir das Haus renoviert haben.“ Statt der Urlaubsfotos von der Golden-Gate-Brücke, dem Eiffelturm und dem Peter-Lenk-Kunstwerk in Berlin-Kreuzberg zeigen sie ihren Freunden jetzt Fotos von ihren renovierten Zimmern. Von ihrem Waran-Habitat mit Pool. Und ihrem selbstgeschnitzten Kanu.

Innehalten ist nicht mehr. „Man wächst nicht in seiner Komfortzone“, lautet das neue Motto.

„Die freiwillige Transformation des letzten Schutzraumes Sommerurlaub in ein kreatives Arbeitsprojekt, um auch da noch Wachstum auf allen Ebenen zu erzeugen, ist der konsequente nächste Schritt einer durchgeknallten Mittelschicht Richtung Wahnsinn“, sagte ich zur Superfrau, die neben mir im hot tub chillte. Und noch während sie nickte, dachte ich: Was könnte nächstes Jahr unser Projekt sein?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Ausrufezeichen sollten teurer werden, das verhindert den inflationären Gebrauch.....

  • Ist schon niedlich, wenn ein Paar für seine Gepflogenheiten den Urlaub zu verbringen instrumentalisiert wird, damit ein Journalist sich über die Art und Weise herziehen kann, wie sie sich entspannen!



    Ist es jetzt schon in den Augen der Journalisten ein Unding sich nicht in den Flieger zu setzen um einen Pauschalurlaub auf einer Insel oder am Strand zu machen um nur faul sein zu dürfen?!

    Den Urlaub mit einer sinnvollen Tätigkeit zu erleben kann genauso Entspannend sein, wie eben dieser 0/815 Urlaub auf den Malediven oder anderswo!

    Gerade die Menschen, welche finanziell nicht in der Lage sind teure Urlaube und teure Handwerker bezahlen zu können, bleiben schon allein aus der Not heraus zu Hause und tun etwas sinnvolles, denn sie müssen, wenn sie z.B. ein schönes, intaktes Heim für sich und die Familie haben wollen!

    Es gibt viel zu viele Menschen in Deutschland, dessen Einkommen so niedrig ist, dass nicht einmal eine einzige Reise im Jahr als Urlaub getätigt werden kann, aber dafür sehr viele, die extra für diesen Urlaub überteuerte Kredite aufnehmen, für die sie dann das ganze Folgejahr Überstunden machen müssen.



    Wer hat da wohl mehr von seinem "Urlaub", der, der zu Hause kreativ war oder der Hochverschuldete, in der ständigen Sorge ums Geld den Kredit zurück zahlen zu können?

    Meinen letzten Urlaub hatte ich 1983, als ich über 9 Wochen durch Italien getourt bin, mit nur 1500 DM und einem Zelt!



    Seit 1988 bin ich Familienvater, womit, trotz eines guten Einkommens, kein Urlaub mehr drin war!



    Wer Kinder hatte wurde Ende der 1980ger bis Mitte der 2000der nicht gern in den Urlaubsgebieten gesehen, warum weiß jeder der Kinder Großgezogen hat!

    Nach einer schweren Krankheit, die mich zum Erwerbsminderungsrentner machte, war ich schon finanziell nicht mehr in der Lage eine Reise für die Fmilie zu finanzieren!

    Seit 2014 bin ich Alleinerziehend, mit einer 14 jährigen Tochter!



    Meine Tochter hat ausser den 3 -5 tägigen Klassenfahrten noch nie einen Urlaub erlebt!

    • @urbuerger:

      Danke für Ihren Kommentar !

  • Der Hauptaussage des Artikels kann ich ja voll zustimmen. Nebenbei outet sich der Autor, der sonst oft gegen den Klimawandel anschreibt, aber als Klimakiller (Flugreisen versauen den CO2-Fußabdruck so viel stärker als alles andere), während das urlaubskreative Pärchen eine deutlich klimaneutralere Betätigung gefunden hat.

    • @till:

      Ja wie? Ollen Ulenspeigel - hm?

      Ha noi. Haben Sie da ein besonderes Schlaglochsuchgerät* am Start*?*



      "Hauptaussage" - bei Mr. EineEineFrage?



      Mach Bosse!



      Das wäre nach der fulminanten & so zutreffenden Aussage



      "...der Blödmann" (über PeterelSupergehyptenLindner Woll)



      Seiner Perle - ja endlich mal wieder was Erfreuliches - kerr!



      Geradezu Fjutscher2-Verdächtiges. Newahr.

      unterm----mal die eine eine Frage! -- zu * --



      Wahrscheinlich aus der Serie BMW-Isetta*!* & Co. Gellewelle? Ja - Dess schlecht die Geiß net weg!



      Na - Si´cher dat.



      Normal.



      &



      Auch mal ausprobieren? - Gern. hier -



      media.mydays.com/d...-selber-fahren.jpg

  • Ja wie? In einem einem Wort*¿!*

    • SOWASVONVERZICHTBAR •