Kolumne Die eine Frage: Gibt es linken Fußball?
Gut: Günter Netzer, der SC Freiburg, St. Pauli. Böse: Der FC Bayern und die Nationalmannschaft. Aber es ist alles ganz anders.
D er wahre und gute Fußball kommt aus der Tiefe des Volkes. Er beinhaltet die Werte der Arbeiterklasse. Er ist selbstredend links. Während der rechte Fußball alles ausbeuterisch der Rendite, also dem Ergebnis unterwirft, zielt der linke Fußball darauf, Menschen über kollektive ästhetische Erlebnisse zu bereichern.
So haben wir es damals im Religionsunterricht gelernt. Der Evangelist war Cesar Luis Menotti, Trainer des argentinischen Weltmeisterteams von 1978. In dieser Woche ist er 75 geworden.
Und mir hat sich die Frage gestellt: Gibt es linken Fußball wirklich?
Wenn wir von der zeittypischen Verklärung der Arbeiterklasse absehen und davon, dass Freiheit und Sozialismus Gegensätze zu sein pflegen, wurde der linke, freie und gute Fußball in Deutschland seit Menotti vor allem projiziert in: die Niederlande, Borussia Mönchengladbach, den SC Freiburg, den FC St. Pauli. Rechter Fußball war die Nationalmannschaft und der FC Bayern München.
Man kann aber auch sagen, dass Herbert „Hacki“ Wimmer in den Siebzigern bei Gladbach der Ausgebeutete war, der den Ball holen musste. Und Günter Netzer war der autoritäre Chef, der den Ball, den Ruhm und die Millionen bekam.
Hässlicher Stumpffußball
St. Pauli hat bei allem Respekt nie die „schöpferischen Potenziale des Fußballs“ in Menottis Sinne ausgeschöpft. Und gegen den hässlichen Stumpffußball der vom Zwang einer ästhetischen Begründung traumatisierten Niederländer im Weltmeisterschaftsfinale 2010 war selbst Toni Schumacher ein Waisenknabe.
Zwei Entwicklungen prägen den Fußball: die voranschreitende Kapitalisierung, angetrieben von Verbänden, Spitzenklubs, Wirtschaft, Medien; und die voranschreitende Emanzipation, die sich dem Kapitalismus verdankt (sie ist nicht nur moralisch, sondern ökonomisch gut).
Diese Emanzipation ging in den neunziger Jahren von Volker Finke und dem SC Freiburg aus. Und findet sich mittlerweile vielerorts, wenn nicht in Klub-, so doch in den Teamstrukturen. Auch der omnipotenteste Trainer verdankt seine Legitimation heute seiner Kompetenz – und nicht übertragener Macht.
Kreativer Umgang
Tebartz-van Elst, Brüderle, Guttenberg. Darüber regen wir uns auf. Aber warum? Und was bringt das? Den großen Empörungsvergleich lesen Sie in der taz.am wochenende vom 9./10. November 2013 . Darin außerdem: Christian Ströbele ist nun weltbekannt als „der Mann, der Edward Snowden traf“. Aber wie hilft das der Sache des Whistleblowers? Und ein Gespräch über den Glanz im Schund, echte Adelige und Sexwestern: Mit Anna Basener, einer der jüngsten Groschenromanautorinnen Deutschlands. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Der moderne Fußball unterscheidet nicht mehr zwischen Held (Stürmer) und Arbeiter (Verteidiger). Zum kreativen Umgang mit dem Ballbesitz kommt gleichberechtigt der kreative Umgang mit dem Ballbesitz des Gegners.
Und so kommt es, dass Philipp Lahm der linke Held von heute sein müsste, Protagonist des gelebten Gleichheitsprinzips auf dem Feld, eines flachhierarchischen, ästhetisch hochwertigen Fußballs, der ausgerechnet bei Bayern München gespielt wird, dieser schlimmen Ergebnismaschine des 20. Jahrhunderts. Spätestens jetzt ist klar: „Links“ ist auch im Fußball kein Begriff mehr, mit dem man hantieren könnte. Man sollte von emanzipatorischem Fußball sprechen.
Der erstaunlichste Vertreter des emanzipatorischen Fußballs ist – DFB hin oder her – die deutsche Nationalmannschaft, die in Wankdorf den schönen, linken Fußball der Ungarn besiegte und daraufhin fünfzig Jahre im Grätsch-Tugend-Eier!-Mythos gefangen war.
Joachim Löw ist ja nun wohl kein Linker und auch kein Intellektueller. Aber sein Fußball ist im Sinne von Menotti. Genau das macht seine Gegner, Leute wie Kahn und Sammer, kirre. Es geht nicht um einen blöden Pokal, es geht darum, uns zu inspirieren, zu begeistern und als Menschen größer zu machen. Das ist emanzipatorischer Fußball at its best. Scheiß auf den WM-Titel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld