Kolumne Die Kriegsreporterin: Mit der Bratpfanne zum „Stern“
Hip-Hop kann doch niemand ernst nehmen. Und um den Bubi Stefan Raab sollte niemand heulen. Über den Rechtsruck der „Weltwoche“ schon.
H allo, taz-Medienredaktion! Bim, bam! Alter, isch bin voll krass im Weihnachtsmodus, ey. Voll Bimmelim, das Glöckchen! Da passt es, dass ich gerade eine Art Erweckungserlebnis hatte. Als ich im Zuge des Böhmermann-Rap-Video-Beefs las, dass viele Musikjournalisten, die über Hip-Hop schrieben, dies völlig distanz- und kritiklos täten. Dass sie oft selbst in der HipHop-Industrie tätig wären und quasi schreibende Lakaien von Leuten wie Haftbefehl und Fler seien.
Und da ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass es überhaupt Menschen gibt, die die Isch-kann-Sonnenbrille-Haftbefehl-Schwachmaten tatsächlich ernst nehmen. Ich dachte, wir lachen alle über die. Weil an allen Ecken und Enden zu kurz gekommen. Zu wenig Sauerstoff unter der Geburt, zu wenig Erziehung, zu wenig Bildung. Ist aber gar nicht so. Es gibt echt Leute, die die ernst nehmen. Also so richtig ernst. So mit Fürchten und so. Ich lach mich schlapp, ey. Was für ein geiler Joke!
Viel weniger lustig, ja geradezu traurig ist, was sich dieser Tage vor den Fernsehern der Republik abspielte. Gestandene, gebildete, überaus schlaue Kollegen mit den Knien in der Tränenpfütze in Anbetracht der letzten Raab-Sendung. Ein Mann, der das Prinzip des spielenden Fünfjährigen, seine Begeisterungsfähigkeit für Bagger und Brumm-brumm ins Erwachsenenalter transferiert hat, macht die Sandkiste dicht und die großen Jungs sind aufgelöst.
Mir macht das ein wenig Sorge. Stichwort: Beschäftigungsvakuum. Radikalisierung …
„Dornenvoller Kampf“
Diese traurigen Gedanken führen mich in die Schweiz, wo die ehemals renommierte Weltwoche unter der Führung des mittlerweile in den Nationalrat gewählten Rechtspopulisten Roger Köppel zu einem rassistisch-weltentrückten Blatt geworden ist, das in der aktuellen Ausgabe Sepp Blatter zum „Schweizer des Jahres“ erhebt und seinen „dornenvollen Kampf für eine bessere Welt“ darlegt.
Und ich frage mich: Darf man, wenn man in der journalistischen Mitte zu Hause sein möchte, für das Brandbeschleunigerblatt schreiben? Und soll eine Institution wie etwa das Reporter-Forum oder der Nannen-Preis Texte nominieren, die dort erschienen sind? Wäre das ein No-go oder ist der Ort der Veröffentlichung egal, Hauptsache, der Text ist gut? Stichwort „Haltung“. Heutzutage ein vom Aussterben bedrohter Charakterzug, der, so er denn sichtbar wird, die Kollegen so aus dem Häuschen bringt, wie es andernorts allenfalls der Panda-Nachwuchs vermag. Stichwort „Reschke“.
Na, immerhin, so ließe sich einwenden, führt das Blatt große Namen in seiner Autorenliste. Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch und Golo Mann. Gottfried Keller ist leider nicht dabei. Schade, der schreibt immer so schön munter.
Das Ticken ist aus dem Takt
Aber nicht nur bei der Weltwoche ist das Ticken aus dem Takt. Auch beim Stern ist der Zeiger der Digitaluhr abgebrochen, weswegen der ansonsten sehr geschätzte Kollege Draf im Jahr 1986 hängen geblieben ist und anlässlich des Weihnachtsfestes schreibt: „Bücher verschenken geht so: Die Kerle kriegen Abenteuer und Action, die Frauen Gefühl und Familie“. Und ich muss sagen, die Zeiger der Uhren schreiten andernorts zwar voran, aber wenn ein Draf ruft, will ich natürlich nicht versagen.
Ich hab als Frau schließlich sehr, sehr viel Gefühl. Vor allem von der Wut habe ich einen ganzen Schrank voll. Gleich neben dem Regal mit der Familien-Bratpfanne. Mit der komme ich nach Weihnachten mal vorbei. Für die Männer, die sich beim Stern nach Action sehnen! Es soll schließlich keiner zu kurz kommen.
Bis dahin ist aber erst mal Pause! Nächste Woche sammle ich meine Kräfte für den schlagkräftigen Einsatz 2016.
Mit lautem „Dong!“ zurück nach Berlin!
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