Kolumne Die Farbe Lila: Steak für den Kerl, Salat für die Dame
Zwischen Leidenschaft und Selbstdisziplin: was Essen mit geschlechtlicher Selbstvergewisserung zu tun hat.
D u bist voll das Klischee", sagt Freundin P. und drückt mir ein Magazin in die Hand, dessen Titelstory Vegetarismus zum neuen großen Ding erklärt. "Da steht drin, dass 70 Prozent der Vegetarier Frauen sind."
"Schön für die Frauen", sage ich und überlege, ob ich es schlimm finden soll, einem Rollenklischee zu entsprechen. Als ich mich vor sechzehn Jahren am Familienmittagstisch das erste Mal geweigert habe, Fleisch zu essen, hatte ich keine Ahnung von übereinandergestapelten Schweinen oder dem Massenmord an männlichen Küken. Entscheidend war, schlicht und egoistisch: Mir schmeckte Fleisch nicht. Und da ich bisher noch nichts davon gehört habe, dass Geschmacksknospen genetisch und geschlechtlich festgelegt werden, bin ich sicher: Auch als 16-jähriger Junge hätte ich das Fleisch verweigert.
"Essen ist klassisches Doing Gender", sage ich zu P. "Bitte was?", fragt sie, und ich halte ihr einen kleinen Vortrag: dass wenig so von unserer Vorstellung von einer "richtigen" Frau und einem "richtigen" Mann geprägt ist wie unser Essverhalten.
Als ich das erste Mal überhaupt vom Prinzip des Doing Gender gehört hatte - nämlich der Annahme, dass wir uns durch bestimmte bewusste oder unbewusste Verhaltensweisen als männlich oder weiblich selbstbestätigen -, da war mein erster Gedanke tatsächlich gewesen: Essen. Denn wenig ist offensichtlicher und auch statistisch in beeindruckerenden Zahlen bewiesen, als dass Männer sehr viel mehr Fleisch als Frauen zu sich nehmen - und Frauen sehr viel mehr Joghurt, Obst und Salat als Männer essen.
"Okaaay", sagt P. und fängt nebenbei an, auf ihrem Handy herumzutippen. Ich referiere trotzdem weiter: "Kannst du dich an den Kochmarathon-Film ,Julie & Julia' erinnern? Da bestellen vier Frauen zum Mittagessen eine nach der anderen einen Salat - die rituelle Salatparade nennt das die Protagonistin. Ich sage: klassisches weibliches Selbstverständnis: Eine echte Frau diszipliniert sich beim Essen, bloß keine Leidenschaft zeigen. Für viele Männer gilt das genaue Gegenteil: Essen ist Leidenschaft, Fleisch ist Männlichkeit. Nicht umsonst heißt eine Kochzeitschrift für Männer BEEF! und sagt der Verlag, das Heft sei für Menschen, die kochen wollen, nämlich Männer, und nicht für Menschen, die kochen müssen, also Frauen."
"Du, ich muss gleich los", unterbricht mich Freundin P.
SUSANNE KLINGNER ist Mitautorin des Buches "Wir Alphamädchen" und bloggt auf mädchenmannschaft.net.
"Aber kennst du die Geschichte von dem Amerikaner, der von seinem Boss als schwul beschimpft und entlassen wurde, weil er in einem Steakhaus kein Fleisch essen wollte?"
"Was 'n Penner", sagt sie und tippt weiter auf ihrem Handy herum.
"Genau. Anscheinend brauchen manche Männer Fleisch zur Selbstvergewisserung. So wie früher: Das Familienoberhaupt kriegt das größte Stück Fleisch."
Plötzlich habe ich eine Idee: "Verbraucherministerin Ilse Aigner und unsere selbst ernannte Jungs- und Männerministerin Kristina Schröder sollten sich zusammensetzen und ein Programm ,Bin ich als Vegetarier wirklich schwul? - Wege aus der männlichen Essstörung' starten. Das könnte vielleicht das Problem des übermäßigen Fleischkonsums lösen."
P. schaut auf ihre Uhr, sagt "Scheiße, ich muss echt los", und während sie geht, schimpft sie: "Na ganz toll, jetzt habe ich Bock auf ein Steak."
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