Kolumne Die Charts: Und dann lief Udo Lindenberg
Die Charts heute mit Folge V von "Das Content Department": Mies und die Kellnerin, die Udo liebt.
Als Mies von seinem Vormittagstermin zurück ins Content Department kam, hatte er seltsamerweise gute Laune. Obwohl er zu den Arschlöchern von Mitte gemusst hatte, wie er zu sagen pflegte.
Peter Unfried ist stellvertretender Chefredakteur der taz.
Nach einem handelsüblichen Gaga-Politikerinnen-Gespräch über einen "selbstbewussten Kurs der Eigenständigkeit" und den "Inhalt", der den "Unterschied" mache, hatte er wegen akuter Kotzgefahr auf ein paar schnelle Grappa in ein Doof-Café am Reichtagsufer rennen müssen.
Und dann lief da doch tatsächlich Udo. Die neue Platte. Wahnsinn. Mies fühlte sich plötzlich nicht nur wie zu Hause. Sondern auch wohl. Gegen alle Gewohnheit und Logik sprach er die postmittelalte Bedienung an. "Ist das äh Zufall, dass hier Udo läuft?" Ne, das habe sie eingelegt, antwortete die Kellnerin.
"Ach, echt?" Mies sah sie für eine Mikrosekunde tatsächlich interessiert an. "Das hat der Udo wirklich fein gemacht", sagte die Kellnerin, und das Wunderbare trat zurück in ihr end-enttäuschtes Gesicht. Mies dachte gerührt, dass sie vor vielen Jahrzehnten tatsächlich auch einmal ein Mädchen gewesen war, das fröhlich davon ausging, dass das Leben schön werden würde.
Er überlegte, dass er sie trotzdem von der Bettkante schubsen würde. Sie war ja sicher fast vierzig. Also kaum zehn Jahre jünger als er. Weil bei ihr eh alles zu spät war, ließ er sich dann das Wechselgeld komplett zurückgeben und pfiff dabei fröhlich den Udo-Song "Mein Ding" vor sich hin.
Beim Eintreten ins Kabuff sprach ihn der Ressortleiter ganz gegen seine Gewohnheit auf die Fahne an. Er rate von Schnaps am frühen Morgen ab, sagte Kern.
Mies strich ihm - auch ganz gegen seine Gewohnheit - einmal sanft über die Wange.
Düdü-düü-dü-dü, dachte er: "Ja, ich mach mein Ding, egal was die anderen labern. Was die Schwachmaten einem so raten, das ist egal. Ja, ich mach mein Ding."
Damals hatten sie zu zweit am Lagerfeuer Udo-Songs gesungen. Dazu einen Kasten Bier getrunken, der genauso viel kostete wie heute in Mitte ein Grappa. Die Welt wurde verrückt. Aber Udo war seinen Weg gegangen und sich dabei immer treu geblieben. Davor zog Mies seinen Hut.
Kern hatte die neue Udo selbstverständlich auch. Wenn Spiegel, Stern und alle anderen behaupteten, dass Udo plötzlich wieder super war - wer war dann er, die demokratische Entscheidung nicht nachzuvollziehen? Aber er würde wieder einmal alle überholen: Er plante einen Leitartikel, in dem er fordern würde, dass Udo im Bundestagswahlkampf 2009 für Steinmeier "Alles klar auf der Andrea Doria" singen müsste. Er fragte Mies, was er davon halte. Sein Stellvertreter schlug einen anderen Udo-Song vor. "Leider nur ein Vakuum".
Aha, er hat seinen Zynismus wiedergefunden, dachte Kern erleichtert. Rührselig war er noch weniger auszuhalten. Beim Nachdenken über Mies kratzte sich Kern automatisch im Arsch und überlegte dabei, ob er nicht auch künftig offen über seine Hämorrhoiden sprechen sollte. Er hatte aus Interviews mit Charlotte Roche herausgelesen, dass man damit in die Bestsellerlisten kam. Und er fand es bedrückend, dass es für so etwas Wichtiges wie gestaute Schleimhautpolster am Mastdarmausgang nur diese eine Protagonistin gab. Fortsetzung folgt.
Die Charts im April
Album: Graceland - Kettcar. Der Sänger und Lyriker Marcus Wiebusch ist der große Aphoristiker unter den deutschen Gegenwartsautoren. Zum Beispiel: "Man ist immer so alt, wie man sich liebt".
Song: Alices Restaurant - Arlo Guthrie
Medienstratege: Jürgen Trittin (Die Grünen). "Wenn ich mit ihr beispielsweise einen Mindestlohn einführen kann, Atomkraftwerke abschalten - warum soll ich dann nicht mit Frau Merkel koalieren?" Ne, echt, mit Merkel? Großeinsatz in allen Medien. Und ich würde mit Bush koalieren, wenn er die Energiewende macht. Und das eine oder andere dafür bleiben lässt.
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