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Kolumne DazwischenDunkelblond wie ein polnischer Hund

Das Ich von heute liest sein Tagebuch von früher und findet sein schreibendes Ich größer als gedacht.

V or einigen Jahren hatte ich eine esoterische Phase. Ich färbte mir die Haare hennarot, qualmte alles mit Räucherstäbchen zu, las Feng-Shui-Bücher, rauchte Kräutermischungen, die "Tanz des Schamanen" hießen, lernte Meditieren, Yoga und Tantra. Ich konnte verrückte Sachen mit meinen Chakren machen und war überzeugt, dass ich die wiedergeborene Simone de Beauvoir bin

Das mit Simone de Beauvoir lag daran, dass ich nämlich genau an dem Tag geboren bin, wo sie gestorben ist. Das fand ich irgendwie bedeutsam. Ich war 14 oder 15, ging in eine Buchhandlung, kaufte "Das andere Geschlecht" und las es in einem Rutsch durch. Ja, gute Sache, dachte ich. Damals wusste ich noch nicht, wie viele Wellen der Feminismus hat und ob Alice Schwarzer noch lebt, aber ich hatte das Gefühl, da ist was wichtig.

Bis heute hat sich einiges geändert. Das Eso-Ich ist nicht mehr. Meine Haare sind wieder dunkelblond wie ein polnischer Hund, ich lese andere Bücher, nehme andere Drogen. Das mit der Wiedergeburt war vielleicht auch Quatsch. Nur über Simone de Beauvoir schreibe ich immer noch.

Margarete Stokowski ist Autorin der taz.

Es ist gut, dass ich damals Tagebuch geführt habe, mein jetziges Ich freut sich darüber. War doch schön, damals, auch wenn es ein bisschen bescheuert war.

Ich mag es auch sehr, wenn ich von anderen Leuten hörte, was sie so für ein Bild von mir haben, das ist nämlich meistens nicht dasselbe, das ich von mir habe. Also eigentlich nie. Am Samstag war ich auf einer Party und traf da mehrere Kollegen zum ersten Mal persönlich. Der eine hatte mal irgendwelche Rezensionen von mir gelesen und wunderte sich, als ich ihm vorgestellt wurde. Er sagte: "Du bist das? Ich dachte, du wärst mindestens 40." Oh, sagte ich, nee, eigentlich 25. Ich fragte: "War das wegen des Vornamens oder wegen der Texte?" "Äh, weiß nicht", sagte er, "so ein Gefühl."

Ein zweiter Kollege kannte meine Kolumnen und das Foto dazu. "Huch", sagte er, als ich meinen Namen sagte. "Ich dachte, du wärst groß und hager, also auf jeden Fall größer als ich." Sehr komisch. Ich bin nämlich gerade mal eins sechzig. Er ist selber ziemlich riesig, also dachte er wohl, ich bin so um die zwei oder drei Meter groß. Er konnte das auch nicht begründen, und ich überlegte an diesem Abend lange, woher ich bitte die Aura einer drei Meter großen Vierzigjährigen habe. Sieht so mein schreibendes Alter Ego aus? Die müssen es wissen, die sind ja alle Journalistenprofis.

Es ist überhaupt eines der spannendsten Dinge am Schreiben, dass man immer irgendwas zurückbekommt. Mein Kollege H. las neulich einen Text von mir und machte mir daraufhin einen Heiratsantrag. Echt. Das war toll, ist aber nicht der Normalfall. Jemand anderes schrieb an die taz, man solle mich rausschmeißen, denn ich sei hohl und hätte schlechten Sex. Steile These, dachte ich, schrieb dem Herrn zurück und bekam sogar eine Antwort, mit freundlichen Grüßen an mein lyrisches Ich. Lyrisch? Egal. Ich richtete die Grüße aus und die drei Meter große Vierzigjährige lächelte weise. Ein bisschen wie Simone de Beauvoir.

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Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff