piwik no script img

Kolumne Das TuchIch reise per Anhalter durch die Galaxis. Endlich

Ich bereite mich stets auf die nächste Rechtfertigung vor. Und vergesse dabei das Schöne, das keinen Sinn zu haben braucht.

E in Freund und ich ergründen grad den Sinn des Lebens, als ich einen dicken Wälzer auf seinem Tisch entdecke: "Per Anhalter durch die Galaxis" Ach, welch Überraschung! "Ich wusste gar nicht, dass das Buch auch politische Elemente hat", sage ich. "Hat es auch nicht, jedenfalls nicht im klassischen Sinn", antwortet er. - "Achso." Ich grüble. "Und was lernst du dann draus?" - "Nichts. Außer über die Sinnlosigkeit solcher Konzepte wie Sinn vielleicht." Ich schaue ihn irritiert an. Er schaut noch irritierter zurück. "Sag mal, Kübra. Wann hast du zuletzt einfach so zum Spaß ein Buch gelesen?"

Ich weiß nicht, wie mein Gesicht in dem Moment aussah. Vermutlich wie ein Auto. Aber ich dachte nur: Verdammt. Ich, kann mich nicht erinnern. Gerade lese ich wieder einmal einen Band über den Islam und die Moderne. Typisch! Typisch für Minderheiten, die sich mit sich selbst beschäftigen. Man wird nicht nur von Außen auf die Minderheiten-Identität reduziert, sondern macht selber mit.

Schwule, Juden, Muslime, Schwarze, Ausländer und Frauen sind damit nur noch schwul, jüdisch, muslimisch, schwarz, ausländisch und Frau. Und am Ende dieser Einbahnstraße stehen dann Menschen wie Broder.

Bild: privat

Kübra Yücel, 22, lebt in Hamburg und studiert dort Politikwissenschaften. Daneben schreibt sie ihren Blog "Ein Fremdwörterbuch".

Eigentlich möchte ich mich als Muslimin eigentlich gar nicht so intensiv mit dem Muslimsein oder Rassismus beschäftigen. Viel angenehmer wäre es für mich, könnte ich mich hauptsächlich mit Kunst befassen. Oder einfach mal ein blödes Buch lesen.

Kann ich aber nicht. Denn Menschen werden zu Minderheiten gemacht. Sie werden aufgrund einer ihrer Identitäten benachteiligt. Wenn sich Minderheiten mit Diskriminierung beschäftigen, beschäftigen sie sich vor allem mit der Mehrheitsgesellschaft. Sie machen ihre Hausaufgaben vor dem nächsten Gespräch. Sie reflektieren. Weil Bedarf besteht. Und weil vor unserer Gesellschaft Anderssein entschuldigt und gerechtfertigt werden muss.

Schwule müssen der Mehrheit ihre Partnerschaft erklären. Und natürlich wann sie sich geoutet haben. Ein Mädchen mit Kopftuch muss erklären können, warum sie das Kopftuch trägt. Und sowieso muss sie den Islam und alle islamischen Regime der Welt verteidigen. Oder meine Freundin Pamela. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater kommt aus Burkina Faso. Bei neuen Bekanntschaften muss sie erzählen, wie sich ihre Eltern kennengelernt haben. Man nimmt sich das Recht heraus, in ihre Privatsphäre einzudringen.

Das Fragen an sich ist nicht schlimm. Wenn da nicht diese Selbstverständlichkeit wäre. Auch ich antworte gerne auf Fragen. Aber der Grund sollte sein, dass die Person so nett gefragt hat. Nicht weil sie ein Anrecht auf diese Information hätte.

Trotzdem erwische ich mich häufig dabei, wie ich mich bereits vorauseilend für mein Abweichen von der Norm entschuldige. Ich beantwortete Fragen, die mein Gegenüber noch gar nicht gestellt hatte. Ich muss alle Bücher und Artikel lesen, die das Thema Identität betreffen könnten. Alle Filme schauen.

Zum Abschied schenkt mir der Freund das Buch. Mit Widmung: "Liebe Kübra, hier mal was anderes." Endlich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

6 Kommentare

 / 
  • MH
    M. Hoffmann

    Als Muslim finde ich eine bloße Obszönität, muslimische Identität so schlicht mit schwuler Identität gleichzusetzen. das ist Stillosigkeit. Da muss die Kolumnistin wirklich mit sich in Diskussion gehen, wie man mit sich als Muslim in nicht muslimischer Umgebung anders auseinanndersetzen könnte und sich anders und tiefsinniger artikulieren könnte.

     

    Islam ist nicht "so eine Einstellung wie jede andere..."

    Rassismus ist nicht nur ein kleines Hindernis im Vorbeigehen. Die Existenz-Gafahr greift tatäglich massiv und schädlich in die Biographie, Gegegenwart udn Zukunft islamischer Familien und ihrer Kinder.

     

     

    Zudem ist es wirklich gaaaaart nicht schön, dass man immer nur dasselbe Gesicht als Kolumnistin und diesselben Gedanken immer wieder bekommt. Gibt es unter 5 Millionen Muslimische Seelen keine weitere Seele mehr, die ihr Fühlen und Denken nicht in Worte kleine kann? Wirklich taz-Leute?

  • B
    binjamin

    ...wenn jemand frägt wo man sich bzw seine Eltern sich kennengelernt haben wenn es offensichtliche Unterschiede gibt (dazu zählt auch Nord- und Sueddeutschland) dann ist das kein Eindringen in die Privatsphäre sondern Small-Talk...kann ja jeder drauf antwortne was man will

  • T
    Toby

    Als ich den Anhalter las, hatte ich Lachen wirklich bitter nötig und tatsächlich. Ich lachte, bis mir alles weh tat. Und ich glaube doch sehr, daß einen das für die Anforderungen des Lebens auch nicht schlecht wappnet. Ihnen wünsche ich jedenfalls, daß Sie viel zu lachen haben mögen!

  • H
    hto

    Der Sinn des Lebens, ist NICHT die zeitgeistlich-reformistische Wissenschaft im "freiheitlichen" Wettbewerb, sondern einzig die befriedende Fusionierung der Menschlichkeit zur reinen / absoluten Vernunft OHNE ... - geistig-heilendes Selbst- und Massenbewußtsein im wirklich-wahrhaftig Freien Willen, anstatt brutal-egoisierendes "Individualbewußtsein" im geistigen Stillstand seit der "Vertreibung aus dem Paradies", für die stumpf- wie wahnsinnige Hierarchie in materialistischer "Absicherung"!?

     

    Gott, Geist, Schöpfung, Zentralbewußtsein oder Universum, die Wahrheit ist nicht auf die Galaxis beschränkt :)

  • V
    vic

    Niemand muss irgendwas müssen.

    Vorauseilender Gehorsam ist das Letzte,

    und von der Norm abzuweichen ist etwas worauf man stolz sein kann.

  • A
    alexandra

    liebe kübra,

     

    hier ein weiterer buchtipp:

    "pan aroma" von tom robbins

    rowohlt taschenbuch verlag

     

    zum kopf- unf herzfreimachen ;-)